Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Stadt.«
»Ich hoffe, du verrennst dich da nicht in eine Sache, die du vielleicht missverstehst.«
»Dann müsste ich blind und taub sein, Ben. Meine Augen sind jedoch weit geöffnet.« Aber noch während er sprach, dachte Abraham: Ich wünschte mir, ich könnte sie für eine Weile schließen und ihnen die Ruhe gönnen, die sie verdienen. Plötzlich erschien ihm wieder Phelps’ zerschmetterter Körper mit seinen halb geöffneten Augen, in denen winzige Schneekristalle glitzerten.
Du bist dein Leben lang mit geschlossenen Augen durch die Welt geflüchtet; sie war dir nichts als eine ewige Dunkelheit. Aber wenn du stirbst, dann mit offenen Augen. Du willst sehen, was kommt. Du willst es so sehr.
Das Licht. »Frank?«
Abraham blinzelte heftig. Der Wind hatte ihm eine ferne Stimme ans Ohr geworfen. Er drehte sich um, suchte nach der Richtung, aber sie hätte von überall und nirgends kommen können.
»Geht’s dir gut? Du warst für einen Augenblick weg.«
»Aber ich bin hier«, sagte Abraham. »Wo sonst sollte ich sein?«
KAPITEL
SECHSUNDZWANZIG
Bevor er Lydia Beenhakker aufsuchte, fuhr Abraham zu Henning Markowitz. Der Mord an Edda Markowitz ging ihm nicht aus dem Kopf, und er hoffte, noch irgendetwas aus dem Mann herauszuholen.
Markowitz hatte sich zwar aus seiner beschissenen Ehe gelöst, was seinen sozialen Abstieg allerdings nicht gebremst hatte. Die Wohnanlage, eine Aneinanderreihung von tristen Wohneinheiten, war so düster und trostlos wie das Wetter. Markowitz öffnete selbst die Tür, etwas wackelig auf den Beinen, er trug Unterhemd, Unterhose und einen muffigen alten Bademantel, er zitterte und kratzte sich, er war am Trinken, dabei, den Tag auszufüllen.
»Sie hier? Bin ich jetzt verhaftet?«, krächzte er.
»Warum, haben Sie was ausgefressen?«, fragte Abraham. Markowitz grinste trübe und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor Abrahams Gesicht.
»Die isses selbst schuld …«
Abraham blickte an Markowitz vorbei auf eine junge Vietnamesin, die verängstigt aus dem Badezimmer kam und deren linke Gesichtshälfte geschwollen war.
Sie sagte: »Polizei?«
»Ich bin von der Kripo, Frau …«
»Markowitz«, sagte Markowitz, »meine Frau, mit Brief und Siegel und Tamtam.«
Dann trat er zur Seite und machte Abraham den Weg frei. »Treten Sie ein, hab nichts zu verbergen.«
Abraham drängte sich an ihm vorbei, roch den Alkohol, den Schweiß, abgestandene Zigarettenluft. Er ging zu der verängstigten Frau und untersuchte sanft ihr Gesicht.
Lächelte sie dabei aufmunternd und beruhigend an. Weiß Gott, sie hatte ein Lächeln dringend nötig.
»Ihre Kollegen waren gestern schon hier«, sagte sie in gebrochenem Deutsch. »Er schlägt nur, wenn er trinkt.«
»Ich trinke nicht, ich nippe nur, meine Butterblume.«
»Hat sich das ein Arzt angesehen?«, fragte Abraham die Frau.
Sie nickte. »Aber ich wollte nicht in Hospital gehen.« Weil sie sich schämte. Weil sie hier fremd und verloren und mit einem Trinker verheiratet war. »Ich habe nicht gute Essen gekocht«, sagte sie jetzt und weinte.
»Genau«, sagte Markowitz. »Und dann ist sie frech geworden, und so was lass ich mir nicht mehr bieten.«
»Richtig«, sagte Abraham gefährlich ruhig, »diese Zeiten sind ja vorbei, nicht wahr?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Im Gegenteil, Freundchen. Ich interessiere mich brennend für Arschlöcher, die ihre Frauen schlagen.«
Etwas in Abrahams Stimme, ein stählerner Abscheu, veranlasste Markowitz, sich in einen fleckigen Sessel sinken zu lassen. Er rieb sich durch das wirre Haar und schluchzte plötzlich. Abraham schloss die immer noch offen stehende Wohnungstüre und holte aus der Küche einen Stuhl, den er vor Markowitz platzierte. Wie bei einem Verhör. Die junge Frau kniete bei Markowitz und tröstete ihn. Sagte: »Es ist nicht deine Schuld, es ist nicht deine Schuld«, und Abraham wusste, dass er ihr zwardie Adresse eines Frauenhauses dalassen, sie diese aber nicht aufsuchen würde. Er schickte sie ins Schlafzimmer, um sich Markowitz ungestört vornehmen zu können. Der hatte die Hand bereits wieder an der Flasche, die wie ein braver Adjutant neben ihm stand. Abraham nahm sie ihm ab, ging in die Küche und schüttete das Zeug in die Spüle. Markowitz saß derweil einfach nur da und sagte nichts und tat nichts, wieder mal besiegt von so ziemlich allen, einschließlich sich selbst, aber das war nun offensichtlich wirklich keine Premiere.
»Was soll dieser Mist?« Abraham erinnerte sich daran, mit
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