Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
diesem Mann damals beim Verhör so etwas wie Mitleid empfunden zu haben, und bereute es inzwischen. Er hatte tatsächlich gedacht, Markowitz hätte sich geändert, aber vergessen, dass der Mann Alkoholiker war und zu kaputt, um sich neu einzurichten. Stattdessen hatte er, wie auch immer, eine unbedarfte, fremde Frau gefunden, wahrscheinlich illegal hier und ohne Papiere, um in seiner neuen Ehe mal den starken Part geben zu können.
Markowitz murmelte: »Ich weiß nicht … ich hab nicht nachgedacht. Ich war betrunken und schlecht drauf.« Er suchte in Abrahams Gesicht so etwas wie Verständnis, prallte aber wie ein Tennisball von einer Mauer ab. »Nehmen Sie mich jetzt mit?«
»Hat Ihre Frau Anzeige erstattet?«
»Nein. Sie ist ein gutes Mädchen«
»Ja, Sie behandeln sie ja auch wie eine Prinzessin.«
Er grunzte etwas Unverständliches.
»Wo haben Sie sie aufgegabelt?«
»In einer Kneipe. Sie putzt dort.«
»Und Sie haben einfach Ihren berühmten Charme spielen lassen und die Kleine um den Finger gewickelt, was? Oder ist es nicht eher so, dass wir uns hier über eine Scheinehe unterhalten. Das würde die Sozialbehörden bestimmt brennend interessieren.«
Abrahams Worte holten Markowitz aus seinem Tran heraus. Nüchtern wirkte er noch schäbiger als betrunken. »Mann, kommen Sie schon, mir ist die Hand ausgerutscht, es tut mir leid.«
»Haben Sie ihr das auch schon gesagt?«
»Ja.«
Abraham glaubte ihm kein Wort. Er schob sein Gesicht ganz nahe an Markowitz’ Visage heran.
»Im Gegensatz zu Edda schlägt sie hier wenigstens nicht zurück, oder?«
Markowitz blickte auf seine Hände runter, sie zitterten bei dem Versuch, so etwas wie eine Faust zu bilden. Der Mann schluckte hart.
»Bitte tun Sie ihm nichts«, hörte Abraham die Stimme der jungen Frau aus dem Schlafzimmer. Die ganze Situation deprimierte ihn mit jeder weiteren Minute.
»Am liebsten würde ich Ihre Frau dazu überreden, Sie anzuzeigen.«
»Tun Sie’s nicht, bitte.«
»Keine Schläge mehr«, drohte Abraham, »sonst sorge ich dafür, dass jede Nacht zwei Beamte vor der Tür Wache schieben und horchen, ob alles in Ordnung ist.«
»Und das andere?« Markowitz meinte die Sozialbehörden, aber Abraham ging davon aus, dass dieses Traumpaar ohnehin schon in deren Fokus stand, und er hatte Wichtigeres zu tun.
»Ich bin hier, um über Edda zu reden.«
»Edda ist tot und begraben«, sagte Markowitz.
Abraham tippte Markowitz an die Stirn.
»Ach ja, da oben auch?«
Markowitz schüttelte den Kopf.
»Ich habe damals gefragt, ob Edda sich mit anderen Männern getroffen hat. Ob sie davon erzählt hat.«
»Ich sagte Ihnen doch, wir lebten da schon nicht mehr zusammen. Ich weiß es nicht. Ich war froh, von ihr weg zu sein.« Markowitz’Kopf schlug gegen seine Brust. Abraham richtete ihn wieder auf, wollte den Blickkontakt nicht unterbrechen.
»Kommen Sie, Henning, geben Sie Ihrem kalten Herzen einen Ruck. So einfach geht man doch nicht auseinander. Sie können mir nicht erzählen, dass Sie ihr komplett aus dem Weg gegangen sind. Sie sind damals ausgezogen, nur ein paar Straßen weiter. Sie waren räumlich von ihr getrennt, auf dem Papier, aber nicht hier drinnen.« Er klopfte ihm mit den Fingerknöcheln auf die Stirn. Da war etwas drin, ein Hinweis, eine Beobachtung, eine flüchtige Geste, ein verschlucktes Wort, das er benötigte und das ihm Markowitz damals beim Verhör nicht gegeben hatte. Abraham würde nicht eher weggehen, bis er es hatte.
»Los, nachdenken. Ansonsten wird das ein langer Tag für uns beide.«
Was machst du eigentlich hier?, fragte sich Abraham. Drohst, bluffst, und mehr hast du nicht zu bieten. Er hatte keine Ermittlungen gegen Markowitz laufen. Dieser hatte ihn freiwillig in die Wohnung gelassen und konnte ihn ebenso auch wieder loswerden. Aber Abrahams rigorose Art setzte ihm zu. Er war kein besonders widerstandsfähiger Mann mehr, er war gebrochen, durch seine zerstörerische Ehe, durch das Trinken, und dennoch immer noch fähig, Gewalt gegen noch Schwächere auszuüben, o ja, wie wichtig es für diese Leute war, immer noch nach unten treten zu können, sich zu vergewissern, dass man noch nicht am untersten Ende der Kette angelangt war. Markowitz bebte regelrecht, als die Dämonen der Erinnerung sich seiner bemächtigten.
»Wieso können Sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
»Weil Edda tot ist und weil ich eine zweite Tote habe und glaube, dass es vielleicht derselbe Mörder ist, der immer noch herumläuft. Und
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