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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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du armer verliebter, verlorener Trottel.
    Das Miststück scheint ihn gut im Griff zu haben, emotional gesehen, vom Herzen her, dachte Beck, wenn er denn gewusst hätte, was das bedeutete, weil er seit jeher Liebe mit Terror gleichsetzte. Wie Mevissen wohl reagieren würde, wenn Beck sie ihm wegnahm? Und wie würde er reagieren, wenn sich Beck ihm dann zuletzt in seiner wahren Gestalt zeigte?
    Während sie das Erbrochene in der Toilette wegspülte, spülten ihre Gedanken sie zurück zu dem einsamen Mann mit dem Gesicht ihres Vaters.
    Beck hatte Kneipen ausgesucht, Clubs, Treffpunkte für die Nachtgeschwader der Stadt. Zuhauf einsame Männer flatterten wie Motten in die stechenden, mitunter grellen Lichter, waren auf der Suche, suchten nach einem weiteren Körper, nach einem Gesicht, einem Lächeln, einem Blick; alles, was sie durch dienächsten Stunden brachte. Polly war nie alleine, Beck und Mevissen lungerten in der Kälte, in den Schatten herum, nachdem sie sie an ihr Ziel dirigiert hatten, die ersten zwei Versuche schlugen fehl, die Männer waren entweder zu traurig und versunken in ihren Schmerz oder zu gleichgültig.
    »Du wirst schon auf den richtigen Typen stoßen«, hatte ihr Beck erklärt, »weil derjenige nach dir sucht, er weiß es nur noch nicht.«
    Polly schwebte wie ein Irrlicht durch die Nacht, geschminkt, die Haare zusammengebunden, sie trug ein enganliegendes Kleid und fühlte sich dabei so falsch und leblos wie eine Schaufensterpuppe an. Oder wie der hilflose Versuch, als Amateurnutte durchzugehen, was ihr tatsächlich ein paar hässliche Bemerkungen einbrachte. Es gab Männer, die ihr einen Drink bezahlten und sie wie Fleisch musterten, um dessen Qualitäten abzuchecken. Schmierige, zottelige Randgestalten, wurde einer zu aufdringlich, nahmen ihn Beck und Mevissen kurz zur Seite.
    »Sieh dich nach Geld um«, sagte ihr Mevissen.
    Natürlich, dachte sie, wenn ich mich verschwende, soll es sich zumindest lohnen.
    In ihrer Handtasche lag unter einem Schminkkasten und einer Rolle Kleenex ein verkorktes Röhrchen mit Becks Geheimwaffe.
    Der Mann war nicht ihr Vater, aber er hätte es, vorausgesetzt, dieser hätte sich nicht totgefahren, in einigen Jahren, von der Zeit bearbeitet, durchaus sein können. Polly starrte ihn unverhohlen an, konnte nicht anders. Er starrte zurück, interessiert. Er war angesprungen.
    Nein, dachte sie, tu das nicht, aber dann war er schon bei ihr und lächelte schüchtern. Polly versteifte innerlich, und ihre Zunge schmirgelte wie Sandpapier zwischen ihren Zähnen und schabte jede mögliche Warnung ab.
    Er war Mitte sechzig, seine Haut grau und fahl, als käme er nicht genug in die Sonne oder ernährte sich nicht vernünftiggenug, er war Lehrer für Englisch und Geschichte, im Ruhestand, verwitwet, er war wie alle auf der Suche nach einer Hand, die blieb. Gegen Sex hatte er allerdings auch nichts einzuwenden. Dass er so viel von sich in den ersten Minuten schon preisgab, zeigte nur seine tiefe Verzweiflung. Er trug einen beigefarbenen, anständigen Anzug, gute Schuhe, eine teure Uhr, seine Brille verrutsche auf seiner Nase, als er ihr einen Kuss gab. Er lebte alleine. Er war das perfekte Opfer. Er erinnerte sie so sehr an ihren Vater, dass sie ihn auswählte (und er sie, wie Beck es prophezeit hatte) und mit ihm in seine Wohnung ging. Sie fuhren in seinem Mercedes, während der Fahrt war vor allem er es, der redete, sie hielt sich zurück, Gott sei Dank hörte sich seine Stimme nicht wie die ihres Vaters an.
    Im Rückspiegel folgte ihnen Mevissens Renault.
    Er hieß Nils. Er legte die Hand auf ihre Knie.
    »Sag mir, wenn du es nicht willst.«
    Sie wollte.
    Seine Wohnung war geschmackvoll eingerichtet, nicht von ihm, sondern von der Verstorbenen, dachte Polly, es war die Handschrift einer liebenden Frau, doch ohne sie lebten die Dinge in dieser Wohnung nicht mehr, jetzt waren sie nur noch Gebrauchsgegenstände, banaler Alltag.
    Er holte eine Flasche Wein und öffnete sie. Sie tranken. Der Wein schmeckte nach gar nichts, wahrscheinlich hatten die Schmerzmittel inzwischen ihre Geschmacksnerven abgetötet. Wieder küssten sie sich. Er erzählte wieder von seiner verstorbenen Frau, ihr Gesicht hing in jedem der zahlreichen Bilder an den Wänden. Kein Wunder, dass er alleine bleibt, dachte sie, wer kann schon mit einem Gespenst konkurrieren? Du machst es falsch, dachte sie, du musst diese Bilder abhängen, sie erdrücken doch jede andere. Es war seltsam, ihn zu küssen. Er küsste

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