Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
seinem verwirrten Geist herum. Es bettelte geradezu danach, benutzt zu werden. Wie könnte er dieser Bitte widerstehen, wo er doch so schwach war, wenn es darum ging, die Dinge über die Grenze zu pushen. Es gab Gründe, warum er das Messer hatte mitgehen lassen, und genau hier stand einer – zwar unverhofft, aber Beck nahm alles, was kam – und fror sich die Eier ab.
Eine Fügung, dachte Beck, das ist es und er fletschte die Zähne und verdrehte die Augen, als er nach dem VERFOLGER Ausschau hielt, und lüftete für einen kurzen, intensiven irrsinnigen Moment reinen Wahnsinns die Maske und ließ Markowitz einen Blick in die Fratze seines künftigen Schlächters werfen. Markowitz ging in die Knie und brach zusammen. Beck stieß seine Hände in die dünnen Manteltaschen von Markowitz und förderte dessen Brieftasche zutage. Nahm zwei schlappeZehner heraus, eine Entschädigung für die unverschämte Belästigung dieses Subjekts, aber das Geld war nur eine Nebensache. Tatsächlich wollte er an die Adresse seiner Wohnung ran.
Er prägte sie sich ein, für später. Oder früher.
Egal, der Tod maß in anderen Zeiteinheiten, und er war der Tod.
Erledigt, dachte er, und dich erledige ich auch.
Dann blickte er sich erneut um, eine schnelle Rechts-links-Kombination, und trat aus dem schmalen Durchgang zwischen Zaun und Containern und bog um die Ecke, und dann löste er sich buchstäblich in Luft auf.
Und wo er eben noch gestanden hatte, könnte man meinen, es röche nach faulen Eiern und Madengewimmel, nach Schwefel und Eiter.
Markowitz hatte sich zusammengerollt und seine Hände um die Genitalien gelegt, er lag da wie neugeboren und weggeworfen zugleich. Er hatte die Augen geschlossen, weil er nichts mehr sehen wollte, schon gar nicht den Dämon über ihm. Als er begriff, dass der dunkle Mann weg war, stopfte er sich mühsam Eier und Schwanz zurück in die Hose und schaffte es irgendwie, sich so weit herzurichten, dass er den Schauplatz seiner Demütigung verlassen konnte. Geschlagen, besudelt, zerstört schleppte er sich in eine S-Bahn und drückte sich in die hinterste Ecke direkt ans Fenster. Die Leute um ihn herum starrten Löcher in die Luft, seine Anwesenheit wurde nicht einmal registriert. Er fuhr zurück zu seiner Wohnung. Der Weg dorthin zog sich unendlich lange und ließ ihm Zeit, sein Entsetzen und den Terror langsam abzustreifen. Ganz würde er ihn nie mehr loswerden – so wie seine Trunksucht.
Das ist der Mann, dachte er die ganze Zeit über, das ist Eddas Mörder. Er hatte einem wahnsinnigen Killer gegenübergestanden, und jetzt galt es, diese Erfahrung festzuhalten, sie förmlich zu fixieren und dann die richtigen Schlüsse aus ihr zu ziehen.Was das eine anging, würde ihm Co Bao helfen müssen. Das andere konnte er selbst erledigen: sich bei Abraham zu melden. Denn wenn es tatsächlich so war, dass der Mann, der Edda getötet hatte, an noch einem Mord beteiligt war, dann musste er gestoppt werden. Und Markowitz konnte sich dem nicht entziehen. Denn er hatte trotz allem vor langer Zeit Edda geliebt, lange bevor die Dinge schiefliefen … aber es hatte diese Zeit einmal gegeben, und deshalb war er ihr es schuldig.
Einmal machst du etwas richtig, dachte er. Und wenn es das Letzte ist, was du tust.
Und damit sollte er nun wirklich mal recht behalten.
Denn zwei Stunden später bekam er Besuch.
KAPITEL
VIERUNDDREISSIG
Abraham stand am Fenster seiner Wohnung und starrte hinaus auf die Stadt. Die Kälte hatte die Straßen ungewöhnlich leergefegt, kaum zu glauben: Berlin, Geisterstadt.
Nun, nicht wirklich.
Es blieben genug Menschen, die sich darum kümmerten, dass die Stadt funktionierte, die in ihren Eingeweiden und in ihrem Kopf, am oberen und unteren Ende der Skala, damit beschäftigt waren, die Dinge am Laufen zu halten, Männer und Frauen in Uniformen und an Fließbändern, in Stellwerken und Ämtern. Und natürlich waren auch andere Gestalten unterwegs; Junkies auf der Suche nach dem nächsten Schuss, Kleinkriminelle, die sich für den nächsten Kioskraub kostümierten, Betrüger, die gerade jetzt die nächste alte Oma im Namen imaginärer Enkel telefonisch um ihre Ersparnisse erleichterten.
Als er von Lydia Beenhakker zurückkam, immer noch wieverzaubert von einem Gefühl, das er im einen Moment als Verliebtheit pries, im anderen als bloße Komplizenschaft abtat, Komplizenschaft im Sinne von Schicksalsgefährten, die in fast demselben Alter dem Bösen in der eigenen Familie begegneten, war er
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