Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
tut mir leid«, sagte Abraham.
»Was?«
»Alles irgendwie. Ich schätze, ich hab’s irgendwann einfach vermasselt.«
»Dazu gehören immer zwei.«
Abraham sagte: »Ich vermisse dich.«
»Es wäre traurig, wenn es nicht so wäre, oder?«
»Ja, das wäre es, aber …«
»Ja?« Plötzlich stockte seine sonst so feste Stimme.
»Das heute war das letzte Mal zwischen uns, Frank. Wir können nicht für immer so weitermachen, das eine von dem anderen trennen, wir treten doch nur auf der Stelle.«
»Ich soll dich loslassen?«
»Das hast du bereits vor langer Zeit getan.«
Abraham spürte den stechenden Schmerz der Empörung (und der Schuld, denn jedem von ihnen war klar, wie die Prozente in dieser Sache verteilt waren) und versuchte sich zu rechtfertigen, aber Erin verschloss seine Lippen mit ihren Fingern und schüttelte den Kopf.
»Tu uns das nicht weiter an«, sagte sie.
Denn sie hatten sich zu oft in Nebenkriegsschauplätzen verzettelt, ihre Kräfte in Rückzugsgefechten aufgebraucht, hatten sich voreinander verborgen; weder Erin noch er ertrugen mehr davon.
Abraham dachte, dass sie in vielen Dingen so viel weiter war als er, dass ihr nüchterner, amerikanischer Pragmatismus ihren Blick für die Realität ihrer Beziehung, ihren Tief-, ihren Endpunkt weitaus mehr geschärft hatte als seine romantische Vorstellung. Und Erin hatte letztendlich begriffen, dass er ein einsamer Mann war und immer bleiben würde und dass die Intensität, mit der er dem Leben und dem Tod begegnete, dieselbe war, die sie einst angezogen und wieder von ihm abgestoßen hatte. Ein Suchender war er; auf der Suche nach den Dingen, die er verloren hatte, aber ohne Hoffnung, jemals eine Endstation für diese Suche zu finden.
Sie wollte jetzt kein weiteres Wort mehr hören oder verschwenden, sondern das mit ihm tun, was sie immer schon getan hatten, wenn sie zu erschöpft waren vom Streiten oder vom Sich-lieben, und so schwiegen sie eine Zeitlang und indiesem Schweigen, das gleichzeitig so vertraut wie verstörend war, nahmen sie voneinander stumm Abschied und sahen zu, wie der Tag sich über die weichenden Reste der Nacht schob. Wie das Leben da draußen erst ächzend und stotternd und dann zunehmend routinierter in die Gänge kam. Und wie es dann, einmal auf dem richtigen Gleis und in Fahrt, einfach immer weitermachte.
Sie waren ein Teil davon und lebendig.
KAPITEL
DREI
»Ich überlege noch, ob der alte Spruch stimmt, dass die Menschen im Sommer sterben wie die Fliegen, oder ob wir nicht stattdessen den alten grauen Griesgram einsetzen sollten«, murrte Kleber, als Abraham aus dem Toyota stieg. Abraham war müde und traurig, das wurde langsam zum Dauerzustand, aber im Gegensatz zu Kleber sah er immer noch aus wie das blühende Leben. Kleber, untersetzt und viel zu schwer, mit dem Gesicht eines Mannes Mitte vierzig, der zu viel rauchte, zu viel aß und zu viel trank, der seine früh ergrauten Haare zu einem unvorteilhaften, ungepflegten Zopf gebunden trug (was ihn noch älter machte), war erst seit ein paar Wochen wieder im Dienst, nachdem er sich vorher eine »von oben« verordnete Auszeit hatte nehmen müssen. Zurück »auf Bewährung« wie man ihm mit einem drohenden Unterton erklärte. Kleber hatte sich mit einem Kollegen namens Stieglitz aus dem Raubdezernat geschlagen, nachdem dieser vorher Abraham als »Scheißjuden« beschimpft hatte, betrunken zwar (wie sie alle am Ende eines langen, trostlosen Tages, an dem Abraham und Kleber frühmorgens die Leiche eines fünfjährigen Jungen aus einem Müllcontainer geborgen hatten), aber dennoch gewollt bösartig. EheAbraham sich selbst zur Wehr setzen konnte, erledigte das sein Partner für ihn.
Abraham war denen da oben ein Dorn im Auge, und Kleber, der wusste, dass man nur nach einem Grund suchte, um in Abrahams Akte einen Vermerk zu setzen, kümmerte sich dementsprechend um Stieglitz.
Die anderen Kollegen hatten entweder betreten oder betont desinteressiert zur Seite gesehen; persönliche Feindschaften, Intrigen, Gerüchte, Rivalitäten waren nichts Neues und ein Grund sich nur mit seinesgleichen zu umgeben. Und was war denn schon geschehen; nichts weiter als überreizte Nerven, Anspannung, Frustration, zu viel Alkohol.
Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, überall saßen die drei Affen herum; wir alle sind die Affen, dachte Abraham und dann musste er Kleber in den Schwitzkasten nehmen und von dem viel größeren und stärkeren Stieglitz wegzerren, da Kleber nicht damit
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