Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Haus. Er ist drin.«
Abraham wies Schneider an, endlich Funkstille zu halten.
KAPITEL
VIERUNDVIERZIG
Abraham ging zurück zum Wandschrank und holte die Kassetten mitsamt dem Aufnahmegerät dort hervor. Schob willkürlich eine in das Gerät. Dann stellte er es auf die Fensterbank und sich selbst daneben, mit dem Rücken zur Wand, das Gesicht zur Zimmertür gerichtet, seinem Feind, dem Feind aller entgegen.
Dachte an Markowitz und an Co Bao, an die Raserei, mit der Beck die beiden ausgelöscht hatte. An Mevissen, Becks Freund, daran, dass dieser am Ende die Wahrheit erkannt hatte. Aber sie hatte ihn nicht befreit, sondern getötet. Hörte erneut wie in einem Echo, die Schreie Edda Markowitz’, als sich Beck ihr offenbarte – in all seiner Grausamkeit.
Dachte an Phelps‘ zerschmetterten Körper.
Fühlte sich plötzlich nicht mehr alleine in diesem Raum. Fühlte eine tröstliche flüchtige Präsenz, die neben ihm stand, hinter ihm, vor ihm herging, ins Licht, aus dem Licht, er streckte die Hand aus, Abraham kniff die Augen zusammen, er sagte: »Wer?«, und einen Augenblick lang war seine Sicht verschleiert, und er sah wie durch einen Nebel. Ihm war ein wenig übel und sein Mund so trocken, dass er selbst Schnee gelutscht hätte. Der Raum spielte mit ihm, dehnte und streckte sich, nur um sich im nächsten Moment wieder zusammenzufalten.
»Wer immer du bist, wende dich nicht von mir ab«, flüsterte Abraham, »denn ich brauche jede Hilfe, die ich kriegen kann.« Denn obwohl er eine ganze Kompanie schwerbewaffneter Elitepolizisten um sich herum wusste und seinen Kollegen nur ein paar Stufen entfernt, und obwohl er selbst bewaffnet war, fühlte er sich so nackt, verletzlich und hilflos wie einst die Christen, die man in Neros Arena getrieben hatte, um sie von den Löwen zerreißen zu lassen.
Du spürst Schmerz, Zorn, Verwirrung und Finsternis, als der rasende Mann durch dich hindurchgeht und sich dem anderen Mann nähert, der oben auf ihn wartet. Der nicht weicht, der standhält, weil einer es tun muss. Einer stellvertretend für alle anderen aufrechten Menschen. Alles reduziert sich auf zwei Körper in diesem Todesraum, fernab der Gestaden von Recht und Rechtsprechung, an einem Ort, wo das geschriebene Wort an seine Grenzen stößt und wo das Gute dem Bösen in völliger Waffengleichheit gegenübersteht. Keine abgefeuerte Kugel, kein Schließen der Handschelle entscheidet diesen Konflikt; es ist das Nicht-Weichen vor dem Terror, das Sich-dem-Aussetzen. Es ist, nicht mehr und nicht weniger, die Prüfung des Glaubens.
Klebers Stimme an seinem Ohr:
»Er ist an mir vorbei, er kommt nach oben.«
Abraham stellte sich vor, wie sein Partner jetzt aus Becks Wohnungtrat und lauschte, die Waffe so fest an sich gepresst, als hinge sein Leben davon ab. Und so war es doch auch, genauso.
Beck kam also.
Gut.
Er war bereit.
Abraham drückte auf PLAY.
Gleich darauf füllte Becks Stimme den Raum.
»Nichts interessierte mich, wenn es lebt. Die Dinge sind nur interessant, wenn sie genauso tot sind wie ich. Wenn sie es nicht sind, sorge ich eben dafür. Das heißt, ich mache sie mir gleich. Andersherum zu existieren ist mir nicht möglich. Meine Dimensionen sind unfassbar. Ich durchschreite Welten, die außer mir niemand zu sehen bekommen wird – denn während ich auf ihnen wandele, erschaffe ich sie im selben Augenblick, so dass jeder Schritt auf neugeborenem Boden Premiere feiert. Ja, ich weiß. Der alte Gottkomplex. Und wenn schon. Würde ich diese Welt hier beherrschen, in der ich als Leichnam durch die Nacht gehen muss, um alte Leute zu erschrecken und aufzufressen wie Riesenzwerge, dann könntet ihr alle was erleben. Herodes, Hitler und Stalin, ein wenig Pol Pot, Sektenführer Jones, David Koresh, Osama, o ja, in mir sind viele Räume, und in jedem ist eine Pritsche frei. Legt euch zu mir. Wir wetteifern um den größten Blutzoll, bis nichts und niemand mehr übrig ist. Am Ende alleine und befreit – und dann der letzte Mord an mir selbst.
Mord an einem verfaulenden Mann.«
Sobald er im Haus war, wagte er es, seinen Blick zu heben. Der VERFOLGER traute sich hier nicht hin. Dafür rammte ihm jemand einen Eispickel durch seinen Schädel. Beck schlug die Luft zusammen. Er brüllte vor Schmerzen und kniff sich schnell die Eier ab. Der neue Schmerz vertrieb den anderen. Er fühlte sich völlig ausgelaugt. Ich brauch mal Urlaub, dachte er. Er hastete an seiner Wohnung vorbei. Unwichtig.
Wichtig war, was oben auf ihn
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