Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
wartete.
Als er seine eigene Stimme außerhalb seines Körpers hörte, war ihm, als prallte er gegen eine Mauer.
Jemand spielte seine Aufnahmen ab.
Jemand war da oben.
Mitten auf der Treppe zwischen den beiden Wohnungen blieb er stehen. Er konnte jetzt umdrehen und weglaufen – nach draußen, wo der VERFOLGER auf ihn wartete. Versuchen, irgendwie durchzukommen, bis es Nacht war und der Himmel ausgelöscht – und wenn er sich die Augen mit den Fingern ausstechen musste, um nicht zu SEHEN … oder er ging nach oben, um auf denjenigen zu treffen, der dort auf ihn wartete.
Er hörte es in sich trippeln, kleine Füße kratzten in seinem Kopf herum, einer lachte dreckig und gemein, ein anderer stieß abgehackte, hohe Schreie aus. Eine Hand senkte sich in seine Gehirnmasse und knetete sie wie Teig. Ein Rührbesen schlug seine kleinen grauen Zellen schaumig.
Ein gewaltiger psychotischer Schub entlud sich und zwang ihn wie von fremder Macht die restlichen Stufen nach oben.
»Im Knast jammerten sie einem die Ohren voll. Eingekerkert. Begraben. So fühlte ich mich bereits meine ganze Existenz lang. Die grauen, öden Wände einer Zelle sind nichts gegen die verbunkerten Räume in einem selbst.
Da ist ein Junge, der manchmal in mir ein und aus geht, ganz wie es ihm passt. Das passt mir natürlich nicht, aber wer fragt mich schon? Dieser Junge kommt mir bekannt vor, dieses Kind ruft meinen Namen, und der Klang seiner Stimme ist vertraut – so könnte ich mich mal angehört haben. Seine Augen sind Schalen voller Angst und Entsetzen – denn weder begriff sein kleiner zerbrechlicher Körper den Schmerz, den man ihm antat, noch sein Verstand den Terror, dem er ausgesetzt war. Sie haben diesem Kind Grauenhaftes angetan. Deshalb musste es auch grauenhaft werden.
Niemand weiß, wie sensationell es für mich wäre, endlich schlafen zu können, ohne zu träumen.«
Eine Urgewalt rammte die Wohnungstür auf, und ein wuchtiger Körper drang wie ein Geschoss in sein Inneres ein. Abrahams Hand zuckte zur Waffe, seine Finger schlossen sich bereits um den Knauf der Pistole, als Beck in das Zimmer taumelte und dann plötzlich, als zöge jemand an einer Kette, die unsichtbar an ihm befestigt war, ruckartig stehenblieb.
Er atmete heftig.
Abraham hingegen atmete völlig ruhig.
Er sagte: »Magnus Beck?«
Beck sagte: »Mach das weg.«
Er fürchtete sich plötzlich vor seiner eigenen reproduzierten Stimme, so wie manch einer seinen eigenen Schatten fürchtet. Solange er seine Stimme mitsamt den Aufzeichnungen für sich gehabt hatte, war alles in Ordnung. Aber der Bulle hier … erst Polly, dann Mevissen, jetzt der Bulle. Das waren entschieden zu viele, die Bescheid wussten.
Er nahm die Basecap ab und fuhr sich durch die kurzgeschorenen Haare.
Abraham ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.
Es war Beck, kein Zweifel, denn Abraham holte demonstrativ das Bild hervor, das Co Bao von ihm gezeichnet hatte, und glich es noch einmal ab. Es entsprach auch dem Foto in der Datenbank. Es war immer derselbe Typ.
Magnus Beck, verhaltensauffällig von Jugend an; Brandstifter, Dealer, Totschläger, Serienmörder.
Als Beck die Zeichnung sah, wurde er ganz blass und war tatsächlich überrascht. Er dachte: Ich habe sie doch verschlungen, aber der Bulle vor ihm hielt sie in der Hand, also hatte ihn sein Körper verraten, und die Leute in seinem Kopf hatten die verräterische Zeichnung wieder zusammengesetzt und dem Bullen zukommen lassen.
Abraham sagte: »Aber es ist viel zu interessant. Ich kenne eine Menge Leute, die in den nächsten Jahren hierüber Fachbücher schreiben werden. Du wirst dann allerdings im Knast sitzen – lebenslang.«
Beck brüllte: »MACH ES AUS.«
SEK-Schneider rief: »Was geht da vor?« Er drehte sich zu seinem Teamleiter um und sagte: »Schick die Männer rein, und zwar jetzt!«
Kleber bewegte sich. Er stürmte aus Becks Wohnung und nahm die ersten Stufen mit einem Sprung, verdrehte sich dabei das Knie, schrie auf und brach zusammen. Verlor die Waffe, griff erneut nach ihr und schleppte sich, den stechenden Schmerz ignorierend, hoch.
Abraham drückte auf STOP.
Becks Stimme verstummte.
Beck sagte: »Wo ist der Rest von euch Clowns?«
Abraham sagte: »Überall, wir sind überall.«
»Ja, so ist es immer«, sagte Beck zu dem VERFOLGER.
Endlich da, endlich leibhaftig.
Eine kalte Ruhe überkam ihn, anders als sonst, wenn er die Weiber fertigmachte, weil er da wirklich erhitzt war; nun allerdings fühlte er sich so wie
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