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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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selben Moment, als er den Abzug betätigte, dass er getroffen hatte.
    Belenski rührte sich nicht mehr. Nur Minuten später tauchten die MIG-25 wieder auf und warfen ihre Bomben über die Häuserfront des Gegners ab. In einer gewaltigen Staubwolke brach sie zusammen, begrub dabei die Märtyrer des Propheten unter sich.
    Tretjak hatte seine Atmung wieder unter Kontrolle gebracht, seine Stimme klang rau und wund, als er schrie: »Die verdammten Hunde fressen uns, und du lässt es zu.«
    Grischa würdigte ihn keines Blickes, ebenso die anderen Männer, die sich vielmehr darauf vorbereiteten, loszustürmen. Grischasagte: »Was knallst du die Hunde ab, du Narr? Die wollen auch nur überleben.« Er kam aus der Deckung, schulterte sein Gewehr, lief los. Wie selbstverständlich folgten ihm die blut- und dreckverschmierten Männer. Nur Tretjak blieb zurück, geschlagen und aus dem Spiel genommen.
    Grischa hatte seine Einheit wieder im Griff. Er hatte Verantwortung übernommen – hatte getötet, um die Ordnung beizubehalten. Er war nicht nur fähig, den Feind zu töten, sondern auch die seinen, um größere Verluste zu vermeiden. Er hatte Belenski gut gekannt, so wie alle seine Männer, sie waren in dieser Hölle auf Erden zu einer Einheit zusammengeschmiedet worden, aber wenn es darauf ankam, dann war Grischa bereit, das zu tun, was getan werden musste.
    Er verstand nichts von den unausgesprochenen Dingen zwischen Himmel und Erde, von Vergebung oder Wiederauferstehung. Ihm war schon immer klar, dass es nichts zwischen den Sternen und unter der Erde gab, das ihn hätte trösten können.
    Von diesem Tag an hatte er seinen Nom de Guerre weg: der Eismann.
    Grischa schlug die Augen auf. Grosny zog sich wie eine Hand, die sich einem auf den Kopf legt, von ihm zurück. Ich habe geträumt, ohne zu schlafen, dachte er. Die Erinnerung an Grosny war wie abbrechendes Packeis, jedes Mal befand er sich auf einem größeren Stück, welches im Meer der Zeit weiter ins Nichts hinaustrieb.
    Es war Nacht, er war in Moskau, in seiner Wohnung, vor ihm lagen die Reste seiner Mahlzeit, und er war alleine. Mühsam und schwerfällig kam er hoch, wankte, taumelte, hielt sich an einem Stuhl fest, wartete, bis sein kaltes Blut es ihm erlaubte, auf sicherem Grund zu stehen. In der Wohnung war es stockdunkel, nur der Fernseher lief ohne Ton, tauchte die dunkle Wohnung in knisterndes, bläuliches Licht. Er arbeitete sich bis zum Badezimmer vor, pinkelte, was inzwischen länger dauerte als früher, dannputzte er sich die Zähne, schloss die Wohnungstür ab, schob den eisernen Riegel vor, schaltete auf dem Rückweg den Fernseher aus und setzte sich dann in den einzigen Sessel, den er besaß. Blickte hinaus in die sternenklare Nacht.
    Wartete auf einen Schlaf ohne Träume.
    Wartete vergeblich.
    Draußen bellten Hunde, Moskau gehörte ihnen, sie waren die wahren Herrscher der Nacht. Wie Schatten jagten sie durch die Straßen. Auf der Suche nach den toten Männern der Vergangenheit.
    Sie haben dich bis hierher verfolgt, dachte er manchmal. Aber ihm machten sie keine Angst. Er fürchtete sich nicht vor ihnen.
    Er war der, den seine Männer Eismann nannten.
    Er war der Hölle entkommen, als diese zufror, oder nicht?

KAPITEL
ZEHN
    Am frühen Morgen weckte ihn ein Anruf. Das war ungewöhnlich und gleichzeitig auch nicht. Es gab keinen Menschen mehr in seinem Leben, der ihn hätte anrufen können. Also ging es ums Geschäft. Er nahm ab und hörte die vertraute Stimme des Maklers.
    Er hörte zu, sagte nichts, gab nur ein Knurren von sich.
    Danach duschte er, aß von dem Brot vom Vortag, trank stark gezuckerten schwarzen Tee, verzichtete auf die Nachrichten. Im Haus selbst war es noch still, so als wären seine Bewohner wie Tiere in einen langen dunklen Winterschlaf gefallen. Oder als wäre die Welt selbst verschwunden, und nur Grischa noch übrig.
    Der Aufzug war ein deutsches System, fast zwanzig Jahre alt,aber ebenso tüchtig und zuverlässig wie die Autos, die sie bauten. Er war alleine und starrte sein Spiegelbild in dem dort angebrachten mannshohen Spiegel an. Die Zeit hatte große Stücke aus ihm herausgebissen. An den Rändern war er wie ausgefranst, und seine Muskulatur war bei weitem nicht mehr so elastisch wie früher, seine Bewegungen schnell, aber nicht mehr so schnell wie er es gerne hätte, seine Haare ergraut zu einer kurz geschnittenen Platte, das Gesicht durchzogen von tiefen Furchen, und die steile Zornesfalte verlieh ihm eine Art bösen Blick.

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