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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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dunklen Haaren, innerhalb eines Wimpernschlages hatte sie Larissas Platz eingenommen. Hier in seinen Träumen hatte er endlich Zeit, sie länger anzublicken als bei seinem Mord. Was er sah, war eine abgezehrte, magere Frau, im Leben schon zermürbt und verloren. Sie erzählte ihrem Mörder von ihren Todesängsten, von ihrer Einsamkeit, den Drohungen ihrer unsichtbaren Gegner, nächtlichen Telefonanrufen, Warnungen. Deshalb hatte sie ihre Kinder ins Ausland geschickt. Deshalb hatte der Mann auf dem Foto sie verlassen. Im Leben war sie schon zum Tode verurteilt – und als der Tod in Gestalt des erbarmungslosenHenkers mit seinem Gesicht dann kam, war es beinahe wie die Ankunft eines erwarteten Vertrauten. Deshalb hatte er damals kein Entsetzen in ihrem Blick wahrgenommen, nur das Ende einer tiefen Müdigkeit.
    Rechts von ihm tauchte der riesige Komplex des European Medical Centers auf. Hier war Larissa behandelt worden. Grischa erinnerte sich, wie er einmal etwas früher als sonst zur Besuchszeit erschien. Larissa lag in einem Einzelzimmer, privat bezahlt, wie überhaupt die ganze Krebstherapie. Ihr behandelnder Arzt, ein noch junger Mann, war bei ihr im Zimmer. Er saß an ihrer Bettkante und betete gemeinsam mit ihr.
    Grischa stand, still und heimlich, in der Türe und sah ihnen dabei zu. Es war ein solch intimer Moment, dass er beinahe eifersüchtig auf den jungen Arzt war. Grischa schloss die Tür wieder, ohne sich zu zeigen. Wartete im Gang darauf, dass der Arzt wieder herauskam. Und dachte, dass seine geliebte Larissa ihren geliebten Gott anflehte, sie zu retten. Aber Gott hörte ihr nicht zu. Vielleicht war es ihm auch egal. So egal wie das, was Hauptmann Belenski in Grosny zugestoßen war. Und Grischa selbst, als er viel später den Bärtigen in die Hände fiel und gefoltert wurde, die Armee ihn aufgab und nur der Eismann ihn rettete, in dem er ein Blutbad unter seinen Peinigern anrichtete.
    Der Arzt erschien und nickte ihm zu. Tränen schimmerten in den Augen des jungen Mannes.
    »So viel Fortschritt, und ich kann sie nicht retten«, sagte er. Grischa hätte daraufhin viel sagen können: »Sie tun Ihr Bestes« oder irgendetwas in der Art. Wäre das paradox gewesen? Dass er, der verzweifelt, traurig, ja verrückt vor Sorge und Angst hätte sein müssen, den Arzt tröstete? Stattdessen schwieg Grischa – scheinbar aus Kummer. Aber der Arzt erinnerte sich später hin und wieder, da war Larissa schon tot und er an neuen Fronten beschäftigt, an diesen stämmigen Mann mit den kalten, harten Augen, der so gar nicht zu der zierlichen, warmen Frau passte.Und daran, dass er ihm unheimlich vorkam. Wie ein Mann, der nachts zu Orten unterwegs war und Dinge tat, deren zerfleischte, zerschossene, zerstochene Ergebnisse er manchmal in der Notaufnahme (oder der Pathologie) sah. Erinnerte sich daran, dass er den Mann nie hatte weinen oder verzweifelt gesehen.
    (Und er hatte viele gestandene Männer vor dem Angesicht des Todes zusammenbrechen sehen.)
    Und doch waren all diese Gefühle in Grischa einmal vorhanden gewesen. Larissa hatte ihm beigebracht zu fühlen, ihre Wärme hatte ihn am Leben gehalten. Und jetzt, wo sie starb, da vergrub der Eismann das bisschen Wärme, das ihm von ihr geblieben war, unter einer dicken Eisdecke.
    Er kehrte von den Lagerfeuern ihrer gemeinsamen Zeit zurück in die nächtliche Kälte des Winters, die schon immer in ihm herrschte.
    Der Makler hatte Grischa mal etwas gesagt, seitdem trug er diesen Satz wie einen Schatz mit sich herum.
    »Du wirst dein Leben nicht los und die Menschen, die darin eine Rolle spielen, schon gar nicht; selbst dann nicht, wenn sie sterben.«
    Wo lernte man solche Weisheiten? Im KGB?
    Nein, eher nicht.
    Der Makler war aussortiert worden, er hauste jetzt auf dem Gelände eines verlassenen Betriebes in dem grauen Leviathan eines von drei ehemaligen, verrotteten Verwaltungsgebäuden im Bezirk Lefortowo – außerhalb der Stadt, zusammen mit einer Heerschar von Ausländern, Georgiern, Usbeken, Tadschiken, »Schwarzfüßen«, die als Gastarbeiter Moskaus Straßen fegten, für eine Handvoll Rubel und einen Kübel Verachtung.
    Zwischen den Gebäuden türmten sich aufgeplatzte Müllsäcke, verwilderte Hunde, an Ketten gelegt, bellten ohne Unterlass, es roch nach dem miserablen Essen alter, verwahrlosterMenschen, Männer und Frauen in seinem Alter hockten auf der Erde, tranken Fusel, stritten sich oder starrten mit leerem Blick zurück auf die Trümmer ihres Lebens. Sie beachteten

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