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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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zweimal.«
    »Das ist wenig.«
    »Ja.«
    »Hatte er Familie drüben?«
    »Eine eigene? Ja, hatte er. Sie tun mir leid. Wissen sie es schon?«
    »Wir haben uns mit der australischen Botschaft in Verbindung gesetzt. Die werden die dortigen Kollegen verständigen. Seine Familie würde sicher auch gerne etwas von Ihnen hören …«
    »Die wissen nichts von mir.«
    Abraham blickte sie erstaunt an.
    »Er hat ihnen nicht erzählt, dass er eine Schwester und Mutter in Deutschland hat?«
    »Nein.«
    »Gab es einen Grund dafür?«
    »Das scheint Sie ganz schön mitzunehmen, Herr Abraham«, sagte Lydia. »Sie können sich so etwas wohl nicht vorstellen.«
    Abraham dachte an Robert und gestattete sich ein wehmütiges, zaghaftes Lächeln.
    »Sehen Sie, als er Berlin und dieses Land hier verließ, drehte er sich kein einziges Mal mehr um. Es war, wie aus einer Tür zu treten und sie offen stehen zu lassen, egal, was mit dem Rest, den man zurücklässt, geschieht.«
    »Das ist sehr konsequent.«
    »Es war das erste Mal, dass Stefan so konsequent war.«
    »Gab es ein zweites Mal?«
    Sie nickte. »Ja. Heute Morgen.«
    Abraham erinnerte sich an ihren Satz, den sie beim Anblick der Leiche ihres Bruders gesagt hatte: Ich war mein Leben lang so weit. Bezog sich der Satz tatsächlich darauf, dass sie den Selbstmord ihres Bruders irgendwann erwartet hatte? Als er sie danach fragte, lächelte Lydia traurig.
    »Den haben Sie sich gemerkt?«
    »Das gehört zu meinem Job. War Ihr Bruder labil?«
    »In seinem früheren Leben: ja. In Australien … da fragen Sie die Falsche. Ich glaube, dass er dort lange Zeit zufrieden war.«
    »Nicht glücklich?«
    »Was ist schon Glück? Kennen Sie den Satz von Ludwig Wittgenstein. Er geht so … ›Es gibt eine Welt der Glücklichen und‹ …«
    »›… es gibt eine Welt der Unglücklichen‹«, vollendete Abraham. Auch er lächelte jetzt, weil sie etwas gemeinsam besaßen: eine Vorstellung, wie sich die Welt da draußen für gewisse Menschen darstellte. Und er überlegte, was ihr und ihrem Bruder zugestoßen sein musste, dass sie sich zur Welt der Unglücklichen zählten. Zumindest zeitweilig. Denn war ihm und Robert nicht dasselbe geschehen? Eine Katastrophe, eine schreckliche Fügung. Und hatten sie beide nicht auch versucht, den Schatten ihrer Vergangenheit zu entkommen? Robert noch konsequenter als er. Er war beinahe völlig verschwunden. Abraham hingegen hatte irgendwann kehrtgemacht, um sich den Dämonen zu stellen. Plötzlich empfand er das Bedürfnis, ihr davon zu erzählen. Die ganze Geschichte zu offenbaren. Die Tür zur Dunkelkammer zu öffnen. Etwas, das er selbst Erin verwehrt hatte. Da war dieser Moment, in dem er schon dazu ansetzte … und sich dann sagte, dass er als Polizist hier war und dass es nun um ihre Geschichte ging und um die ihres Bruders. Und um einen Mord, den es aufzuklären galt.
    Er sagte: »Ich hatte das Gefühl, als Sie sich von ihm verabschiedeten und seine Stirn küssten, dass Sie beide sich doch sehr nahestanden. Andererseits würde das nicht dazu passen, dass er seiner Familie in Australien nichts von Ihrer Existenz erzählte und dass er Sie, ich vermute heimlich, in zwanzig Jahren nur ein-, zweimal anrief.«
    »Das würden Sie auch nicht verstehen.«
    »Ich möchte es aber.«
    Sie zögerte einen Augenblick lang, und er nickte ihr aufmunternd zu, als wollte er ihr sagen, dass sie ihm vertrauen konnte.
    »Ich habe Stefan geliebt. Und ich habe ihn beschützt … vor sehr langer Zeit, in einem anderen Leben, wie man so sagt. Aber es gibt keine anderen Leben, auch wenn mein Bruder der Meinung war, dass es so ist. Dass man sich an einem anderen Ort neu erfinden kann, ohne die Last der Vergangenheit mitzuschleppen.«
    »Nun, ganze Nationen sind auf dieser Vorstellung aufgebaut«, sagte Abraham. »Gods own country … Kanada, auch Australien.« Sie lächelte, aber jede Wärme oder jedes Verständnis war aus diesem Lächeln gewichen. Es war spöttisch, verletzlich.
    »Vielleicht irren sich ja alle. Vielleicht geistern Ihre früheren Leben ruhelos in Ihren Träumen weiter. Als Polizist haben Sie bestimmt auch hin und wieder Albträume …«
    »Das kommt vor«, sagte Abraham mit belegter Stimme. Registrierte sie sein Unbehagen? Wenn ja, dann ließ sie sich nichts anmerken.
    »Wie gehen Sie damit um?«
    »Träume kommen und gehen«, sagte er. »An die meisten erinnere ich mich gar nicht.«
    An einige hingegen schon. Mehr, als gut für mich ist.
    »Aber Sie wissen, dass sie

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