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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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Pulsadern aufgeschlitzt, sich dabei die Arme aufgeschnitten und weit geöffnet, so viel Blut, und Robert verstand erst später, dass darin auf irgendeine schrecklich subtile Art und Weise eine Botschaft enthalten war. Denn ihr Vater hatte seine Frauen ebenfalls aufgeschlitzt und ausbluten lassen.
    War dieser Selbstmord eine Reminiszenz an den Mann, der sie so betrogen, der sie vernichtet hatte? Oder lag etwas anderes darin … etwa ein verborgenes, verbotenes Wissen? Er hatte bis heute keine Antwort darauf. Und er spürte den Wunsch, endlich Klarheit darüber zu haben. Doch nur sein Vater konnte ihm diese Klarheit verschaffen. Sein Vater, der in ein paarStunden ein freier todkranker, ein sterbender Mann war. Ein Mörder. Ein Blender und Lügner.
    Robert hatte zwar verhindern können, dass Frank seine tote Mutter sah, aber nicht, dass sein kleiner Bruder den Schauplatz der Morde seines Vaters aufsuchte. Schon damals hatte sich Frank wie ein Mordermittler verhalten, der dorthingeht, wo die Toten sind. Hatte für sich da insgeheim schon die Entscheidung getroffen, was er sein wollte. Von der plötzlichen Finsternis seines Lebens auf die Spur gesetzt.
    »Robert?«
    Sein Name aus ihrem Mund (sein wahrer Name, keine Tarnung, keine Lüge) holte ihn in ihre Gegenwart zurück.
    »Ich begleite dich«, sagte er, »keine Diskussionen.«
    »Ich werde bei ihr sitzen und ihr die Hand halten.«
    »Ich vertreibe mir schon die Zeit«, sagte er. »Ich werde in deiner Nähe sein.«
    Sie lächelte, und egal, was ihn erwartete, das hier war es wert.
    Selinas Mutter starb im labyrinthischen Komplex der Charité, in einem Einbettzimmer mit Blick in den eisgrauen Winterhimmel. Selina war alleine in das Zimmer gegangen, und Robert war mehr als erleichtert darüber. Er konnte einer sterbenden Frau nicht ins Gesicht sehen, wissend, dass er dabei war, den kläglichen Rest ihrer Familie zu zersprengen. Also trieb er sich im Flur herum, wartete, als wäre er ein Angehöriger, ab und an tauchte eine Schwester auf, nickte ihm zu, manchmal schlurften Patienten, die an einem mobilen Infusionsständer hingen, an ihm vorbei, und beileibe nicht jeder sah aus wie der leibhaftige Tod, auch wenn dieser in ihnen wütete. Robert mochte Krankenhäuser nicht. Allein schon dieser spezielle Geruch nach Desinfektionsmittel, dazu lange Gänge mit Türen, hinter denen sich zumeist keine Erfolgsgeschichten verbargen. Palliativstationen waren in dieser Hinsicht besonders trostlos.
    Er hatte auf dem Weg Selinas Hand gehalten, so als wären sie fest zusammen, und kam sich dabei lächerlicherweise wie ein Teenager vor. Aber er spürte, dass er ihr Kraft und Halt dadurch gab, und er fragte sich, wie sie es all die Monate alleine hierhin geschafft hatte – ohne eine Hand, die ihre hielt. Als er darüber nachdachte, wurde ihm wieder bewusst, in was für einer unmöglichen Situation er steckte, in einer unvorhergesehenen und ungeplanten Situation, und er wusste nicht ein noch aus. Von seinem Auftrag her war es richtig, dass er sie hierher begleitete. Denn vielleicht tauchte Mikosch hier auf. Ganz bestimmt würde er hier auftauchen, um seine Frau noch einmal zu sehen, besser früher als später. Trotzdem oder gerade deswegen fühlte er sich schäbig. Jeder Schritt, den er mit ihr tat, jede Geste, jedes Wort war Verrat , war eine Lüge.
    Aber so war es nicht. So fühlte er nicht.
    Was fühlte er? Liebe? War es das? War das der Grund seiner Verwandlung? Der Grund, warum er sich neben dieser jungen Frau wie neugeboren fühlte. War es so simpel?
    Und wenn es so ist, dann ist alles andere nicht mehr wichtig. All die Reisen in die Nacht, das Verbotene, der Mann im Spiegel, der dich ansieht und den Blick senkt, das Zappeln an Fäden, Schulden und Lügen, Erpressungen und Lethargie, Bela Nagy, nichts davon zählt noch, nichts war jemals wichtig. Es ist noch nicht zu spät.
    Vor langer Zeit, als Selina noch ein Kind war, hatte ihre Mutter ihr nach dem Baden die langen Haare geflochten, Haare, die so lang und schwarz und schön waren wie ihre eigenen. Wir erinnern uns vor allem an Nebensächlichkeiten, wenn wir begreifen, dass die Zeit endlich ist. Ihre eigenen Haare hatte ihre Mutter schon lange verloren, ihr Körper würde nie mehr etwas anderes produzieren außer den Metastasen, die dabei waren, sie zu töten. Anfangs hatte sie sich manchmal zu ihr ins Bett gelegt, wenn die Wirkung der Chemo durchschlug und sie niederwarf, so als könnte sie nur durch die Anwesenheit ihresKörpers

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