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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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der Wasserkessel schon kochte, nahm etwas Schafgarbe aus der Dose, in der Mama sie aufbewahrt hatte, gab sie in eine Kanne und goß heißes Wasser darüber. Der Tee war fertig. wenn die Farbe aus den Blättern kam. Mama hatte alles über Schafgarbe von Mrs. Traversy, einer Abenaki-Frau, erfahren, als sie nach der Geburt von Beth Kindbettfieber bekam, und Mrs. Traversy sie kurierte. Sie blieb bei uns, bis Mama wieder bei Kräften war, und brachte uns viele Dinge über das Heilen von Krankheiten bei. Ich wünschte, ich hätte besser zugehört.
    Als der Tee dunkel war, stellte ich die Kanne, ein paar Tassen und einen Krug kaltes Wasser auf ein Tablett.
Bring sie dazu, ihn zu trinken,
dachte ich und stieg die Treppe hinauf. Dann würden sie schlafen, und ich könnte die Schweine und die Hühner füttern, dann Feuer unter dem Waschkessel machen und bei Royal und Mr. Denio nachfragen, wie es den Kühen ging. Einen Plan zu haben, gab mir ein wenig Zuversicht.
    Doch die verpuffte schnell, sobald ich oben war. Pa zitterte so stark, daß sein Bett klapperte. Die Sehnen traten an seinem Hals hervor, und noch schlimmer als zuvor phantasierte er davon, jemanden getötet zu haben. Das war das Fieber. Es schien ihn bei lebendigem Leib zu verbrennen.
    Ich stellte das Tablett auf seinen Nachttisch und goß eine Tasse Tee ein. »Pa?« flüsterte ich und berührte seine Wange. »Pa, du mußt das trinken.« Er hörte mich nicht, bemerkte nicht einmal, daß ich da war. »Pa?« wiederholte ich diesmal lauter. »Pa!«
    Er öffnete die Augen, seine Hände fuhren hoch, und er packte mich an der Bluse. Ich schrie, als er mich an sich riß. Heißer Tee verbrühte mir die Beine, und ich hörte, wie die Tasse auf dem Boden zerbrach.
    Â»Robertson, du Mistkerl!« brüllte er.
»Qu’est-ce que tu dis?
Daß ich nichts tauge? Das sagst du? Du Scheißkerl … Ecoute-moi, vieux, ecoute-moi …«
    Ich machte mich los von ihm, taumelte gegen die Kommode und goß eine neue Tasse ein. »Trink das, Pa!« schrie ich ihn an. »Sofort! Hör mit dem Unsinn auf und trink den Tee!«
    Er blinzelte und sah mich plötzlich ganz mild an. »Wo ist Lawton, Mattie?« fragte er. »Ist er schon zurück? Ich hör die Kühe …«
    Â»Er ist zurück, Pa. Er ist … er ist im Stall beim Melken«, log ich.
    Â»Das ist gut. Ich bin froh, daß er zurück ist.« Und dann sah ich, daß ihm Tränen übers Gesicht liefen. und ich hatte furchtbare Angst. Mein Vater hatte noch nie geweint. »Er ist weggelaufen, Mattie, weil ich sie umgebracht hab.«
    Â»Sei still, Pa, sag so was nicht. Du hast niemanden umgebracht.« Er phantasierte nur, aber je mehr er redete, um so mehr regte er sich auf. Ich hatte Angst. er könnte wieder außer sich geraten.
    Â»Ich hab sie nicht umgebracht, Mattie«, sagte er mit erhobener Stimme. »Das hab ich nicht.«
    Ich hielt es für das beste, ihn zu besänftigen. »Natürlich hast du das nicht getan, Pa. Niemand behauptet das.«
    Â»Lawton schon. Es sei meine Schuld gewesen, hat er gesagt. Mit schwerer Arbeit hätte ich sie umgebracht. Wir hätten alle nach Inlet ziehen und im Sägewerk arbeiten sollen. Ich hätte eure Mutter umgebracht, hat er gesagt, aber bei ihm würd ich das nicht schaffen.« Darauf verzog sich sein Gesicht, und er schluchzte wie ein Kind. »Ich hab sie nicht umgebracht, ich hab sie geliebt.«
    Ich mußte mich an der Kommode festhalten, weil ich das Gefühl hatte, jemand würde mir den Boden unter den Füßen wegziehen.
Deswegen haben sie gestritten.
dachte ich. Deswegen hatte Pa mit dem Flößerhaken gegen Lawton ausgeholt, und deswegen war Lawton fortgelaufen. Deswegen lächelte Pa nicht mehr. Deswegen war er so zornig. Deswegen sah er uns an, ohne uns zu sehen.
Ach Lawton,
dachte ich,
manche Dinge sollte man nie aussprechen.
Worte sind bloß Worte. würde Royal sagen. Aber Worte sind mächtiger als alles andere.
    Â»Lawton hat’s nicht so gemeint, Pa. Der Krebs hat Mama umgebracht, nicht du.«
    Er nickte, aber sein Blick schweifte ab, und ich wußte, daß er meinem Bruder glaubte und nicht mir. Doch die Aufregung hatte ihn entkräftet, und ich nutzte die Gelegenheit, ihm etwas Tee einzuflößen. Als ich seinen Kopf hob, spürte ich, daß er glühte. Ich zog ihn aus und legte die Decke von der

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