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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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an der Hand. »Du mußt mitkommen, jetzt gleich …«
    Â»Ich arbeite, Tom, ich kann nicht. Beruhig dich und sag mir, was passiert ist.«
    Â»Dein Pa und deine Schwestern, Matt. Sie sind furchtbar krank …«
    Ich ließ mein Messer fallen.
    Â»Ich bin heute ganz früh rübergegangen, um zu fragen, ob Lou fischen gehen will, und hab geklopft und geklopft, aber keiner hat aufgemacht. Die Kühe haben gebrüllt, deshalb bin ich in den Stall gegangen. Daisy geht’s schlecht, weil sie nicht gemolken worden ist. Keine ist gemolken worden. Ich hab nicht gewußt, was ich tun soll, Matt. Dann bin ich ins Haus gegangen … Alle sind wirklich ganz schlecht dran. Lou hab ich neben dem Abort im Gras gefunden, ich hab sie rein gebracht, aber …«
    Mehr hörte ich nicht, weil ich schon losrannte. Die Hintertreppe hinunter zur Hoteleinfahrt und hinaus auf die Big Moose Road. Tommy hinter mir her. Ich war keine hundert Meter die Straße hinuntergelaufen. als ich einen Wagen auf mich zukommen sah.
    Ich lief auf ihn zu und winkte mit den Armen. Der Fahrer hielt an. Es war John Denio, der von seinem Haus in Big Moose Station zur Arbeit kam.
    Â»Bitte, Mr. Denio, mein Pa ist krank. Meine ganze Familie . Ich muß schnell heim …«
    Â»Steig auf«, rief er und reichte mir die Hand, um mich hinaufzuziehen. Tommy kletterte hinten hinein. Mr. Denio ließ die Pferde umkehren, dann knallten die Zügel. »Gestern ist eine Frau im Lakeview krank geworden«, sagte er. »Fieber und Schüttelfrost. Dein Pa hat dort Milch abgeliefert, und der Direktor hat ihn gebeten, sie zu Dr. Wallace runterzubringen. Sie wollte ihm zwei Dollar dafür geben. Wie’s aussieht, hat er noch mehr von ihr gekriegt.«
    Mr. Denio fuhr schnell, aber mich hätte ein Vierspänner nicht schnell genug nach Hause bringen können. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Angst gehabt. Tommy sagte, die Kühe hätten gebrüllt, weil niemand sie gemolken habe. Pa würde sie nie ungemolken stehen lassen. Niemals. Mein Mund wurde trocken, und alles in mir fühlte sich an, als würde es zerbröseln. Nicht mein Pa, betete ich. Bitte, bitte. nicht mein Pa.
    Als wir in unsere Einfahrt einbogen, hörte ich, wie ein weiterer Wagen hinter uns einbog. Es war Royal. »Ich hab gerade ins Waldheim geliefert«, rief er, »und auf dem Rückweg Mrs. Hennessey getroffen. Sie hat mir erzählt, was passiert ist. Geh rein. Ich seh nach den Kühen.«
    Noch bevor Mr. Denio angehalten hatte, war ich schon abgesprungen. Ich hörte, wie Royal Tommy zurief, er solle die Pferde anbinden. Ich hörte, wie die Kühe vor Schmerz brüllten und die Kälber aus Angst einstimmten. Sie waren im Stall, in ihren Boxen. was bedeutete, daß Pa gemolken hatte . bloß wann. Gestern? Vor zwei Tagen? Es dauert bloß einen Tag. manchmal weniger, bis sich die Milch ansammelt, das Euter anschwillt und sich entzündet.
    Wir werden sie verlieren,
dachte ich verzweifelt. Jede einzelne.
    Â»Pa!« rief ich und rannte in den Schuppen. »Abby!« Keine Antwort. Ich stürmte durch die Küchentür und sogleich schlug mir der süßlich modrige Geruch von Krankheit entgegen. Barney hob den Kopf, als er mich sah, und wedelte matt mit dem Schwanz. Schmutzige Töpfe standen im Ausguß, auf dem Tisch halbleer gegessene Teller. Fliegen krabbelten darüber und labten sich an den vertrockneten Resten.
    Â»Pa!« schrie ich. Dann lief ich durch die Küche in Richtung Treppe, an deren Fuß ich eine zusammengesunkene Gestalt fand. »Lou! Mein Gott. Lou!« rief ich.
    Sie hob den Kopf und blinzelte mich an. Ihre Augen waren glasig, ihre Lippen aufgesprungen. Der Latz ihres Overalls war von Erbrochenem verkrustet. »Mattie …«, sagte sie heiser, »… durstig, Mattie.«
    Â»Schon gut, Lou, ich bin hier. Halt dich fest.« Ich hob sie hoch, legte mir ihre Arme um den Hals. schleppte sie die Treppe in unser Schlafzimmer hinauf. und bei jedem Schritt nach oben roch die Luft noch schlechter. Ich öffnete die Tür zu unserem Zimmer. bei dem Gestank würgte es mich. Der Raum war dunkel, da die Jalousien heruntergelassen waren.
    Â»Beth? Abby?« fragte ich flüsternd. Keine Antwort. Ich legte Lou auf unser Bett und zog die Jalousien hoch. Dann sah ich Beth. Sie lag still und bleich in ihrem und Abbys Bett. Fliegen krabbelten über sie hinweg. Über ihr Gesicht,

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