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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Kommode über die Körperteile, die ich nicht sehen sollte. Dann wusch ich ihn mit kaltem Wasser ab, drückte den Waschlappen auf seine Handgelenke, auf die Innenseite seiner Ellbogen und in seine Kniekehlen, um das Blut zu kühlen.
    Noch nie hatte ich meinen Pa nackt gesehen. Wir durften nicht in die Küche, wenn er badete. Die Haut auf seiner Brust war weich und leicht mit dunklem Haar überzogen. Auf seinem Rücken, von den Schultern bis zur Taille, waren Narben – tiefe rote Striemen von der Gürtelschnalle seines Stiefvaters. Ich drückte meine Hand auf seine Rippen und spürte sein Herz rasen. Auch hier waren Narben, wie ich jetzt wußte. obwohl sie nicht zu sehen waren. Er zitterte heftig, als ich ihn wusch, und er biß die Zähne zusammen, versuchte aber nicht, mich zu erwürgen. Das war immerhin etwas. Als ich fertig war, deckte ich ihn wieder zu. legte noch zwei Quilts darüber und ließ ihn noch eine Tasse heißen Tee trinken. Ich kannte mich mit Fieber nicht besonders aus, aber ich wußte, daß er schwitzen mußte. Der Schweiß würde die Krankheit aus ihm heraustreiben.
    Â»Ich werd dich vermissen, Mattie«, sagte er plötzlich.
    Â»Ich geh bloß nach gegenüber, Pa«, antwortete ich
    Er schüttelte den Kopf. »Die Kuh geht zum Bullen. Kühe gehen nicht zu Schafen. Geh nicht mit einer Ziege. Ziegen lesen nicht, Mattie, die lesen keine Bücher …«
    Er redete wieder wirres Zeug. »Sei jetzt still, Pa, und versuch zu schlafen.«
    Als er die Augen geschlossen hatte, nahm ich das Tablett, um zu meinen Schwestern zu gehen. Was Lawton gesagt hatte, verscheuchte ich aus meinem Kopf. Ich wollte nicht darüber nachdenken. Im Wegdrängen von Gedanken hatte ich inzwischen einige Übung.
    Dann ging ich in unser Schlafzimmer und sah, daß Lou das Wasser wieder erbrochen hatte und daß Abby aufgestanden war und versuchte, Beth zu säubern, die sich erneut bepinkelt hatte. Es war mein Fehler gewesen. Ich hatte ihnen zuviel zu trinken gegeben.
    Â»Mattie! Matt, wo bist du?« rief eine Stimme von unten.
    Â»Hier oben!«
    Schritte polterten die Treppe herauf, und dann stand Royal in der Tür. Der Gestank ließ ihn zurückweichen.
    Â»Was ist los?« fragte ich und trat in den Gang hinaus.
    Â»Einer von den Kühen geht’s richtig schlecht. Der einen mit dem Stern auf der Stirn …«
    Â»Das ist Daisy. Das ist kein Stern, sondern eine Blume«, erwiderte ich.
    Â»Sie leidet, Matt. Wirklich schlimm. John will … er will wissen, wo dein Pa sein Gewehr aufbewahrt.«
    Â»Nein, Mattie, nein! Laß das nicht zu!« rief Lou aus ihrem Bett.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Er packte mich an den Schultern. »Matt, ihr geht’s schlecht … es wär nicht recht.«
    Â»Im Schuppen. Über der Tür.«
    Er ging die Treppe hinunter, und ich dachte an Daisys große dunkle Augen und ihre behaarten, weichen Lippen. Und daß sie nie nach mir ausschlug. wenn ich sie molk, sondern mich immer meine Wange an ihren weichen Bauch legen ließ. Und ich dachte an den armen Baldwin. Und an den bösen schwarzen Bullen oben auf der Wiese der Loomis’. Und welche Angst er Daisy und Baldwin einjagte, und wie sie dennoch bei jeder Gelegenheit den Zaun durchbrachen. nur um in seiner Nähe zu sein.
    Ich hörte den Gewehrschuß und hörte, wie Lou meinen Namen rief und dann fluchte. Ich hörte, wie im Zimmer meines Vaters der Nachttopf umgestoßen wurde, und wie er zu jemandem namens Armand sagte, er solle den verdammten Bären endlich erschießen.
    Dann hörte ich ein ersticktes, leises Schluchzen, als ich mich oben auf die Treppe setzte und weinte.

Eph• emer
    Â»Nimmst du noch den Lebertran, den ich euch gebracht hab?« fragte mich Mrs. Loomis. Sie saß auf ihrer Veranda und schälte Erbsen, die sie in eine blaue Emailleschüssel warf. Ich saß auf einem alten Korbsofa ihr gegenüber, Royal neben mir, die Beine weit von sich gestreckt.
    Â»Ja, Ma’am«, log ich. Ich goß ihn in den Ausguß. jeden Tag ein bißchen. Lieber hatte ich schlimme Grippe, als diesen scheußlichen Lebertran zu schlukken. Mrs. Loomis hatte mich gut behandelt. Vor einer Woche, sofort nachdem Royal ihr erzählt hatte, wie es um uns stand, war sie in unser Haus gekommen. Sie hatte alle möglichen Dinge mitgebracht – Brombeerwurzeln und Gerstenwasser, um die Harntätigkeit

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