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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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war nicht, was er wollte. Er wollte Daisy. Aber nachdem er Daisy nicht haben konnte, fand er sich schließlich mit dem ab, was ihm geboten wurde.
    Wie wir alle.
    Â»Ich hab jetzt zehn Dollar Selbstgespartes, Mattie. Und meine Ma hat auch was auf die Seite gelegt. Sie wird uns helfen. Und du hast bis Ende Sommer doch auch was gespart, oder? Für den Anfang würd’s reichen, wenn wir alles zusammentun.«
    Ich starrte auf den Ring.
    Â»Willst du, Mattie?«
    Ich steckte den Ring an den Finger. Er paßte.
    Â»Ja, ich will, Royal«, sagte ich. »Du gehst am besten mit mir nach Hause, damit wir’s meinem Pa sagen können.«
    South Otselic
2. Juli 06
Montagabend
    Mein lieber Chester!
    Ich hoffe, du entschuldigst, daß meine Schrift schief ist, ich schreibe nämlich halb im Liegen. Heute habe ich sehr viel gearbeitet
…
Am Morgen hab ich Mama bei der Wäsche und dann beim Kochen geholfen. Heute nachmittag hab ich Erdbeeren gepflückt. Es hat Spaß gemacht, aber ich bin schrecklich müde geworden. Die Felder hier sind rot vor Beeren. Am Abend hat Mama sie eingekocht und Brot und Plätzchen gebacken. Seit ich hier bin, haben wir fast jeden Tag Beeren gegessen. Mama sagt, ich würde eine hervorragende Köchin werden. Was meinst du dazu? Zu Abend hab ich allein gegessen, es gab Bratkartoffeln, French Toast und eine Menge anderer köstlicher Dinge .
    Ich halte beim Lesen inne und starre in die Dunkelheit hinaus. Im Moment vermisse ich meine eigene Mama so sehr, daß es weh tut. Auch sie hat immer Erdbeeren eingekocht und den köstlichsten Erdbeerkuchen gebacken. Er war so süß wie ihr Kuß auf meiner Wange. Manchmal pflückte sie am Nachmittag einen Korb
    Erdbeeren und stellte sie, noch warm von der Sonne und duftend, mit einer Schale Sahne und einer Schale Ahornzucker auf den Küchentisch. Wir tauchten sie zuerst in die Sahne, dann in den Zucker und bissen dann gierig hinein. Irgendwie schmeckten sie immer nach mehr: wie das Pfeifen meines Vaters, wenn er abends vom Feld heimkam, oder wie das Kalb, das zum erstenmal auf wackligen Beinen stand, oder wie Lawton, der uns am Feuer Geistergeschichten erzählte. Ich glaube. daß sie einfach nach Glück schmeckten.
    Einmal servierte Mama diese Köstlichkeit nur für uns beide. Es war, nachdem ich zum erstenmal meine Tage bekommen hatte. Sie ließ mich am Küchentisch Platz nehmen, legte ihre Hand auf meine und sagte. daß ich jetzt eine erwachsene Frau und kein Mädchen mehr sei und daß die Tugend einer Frau ihr größter Schatz sei, den sie niemals und unter keinen Umständen einem Mann schenken dürfe, außer sie wäre mit ihm verheiratet.
    Â»Verstehst du mich, Mattie?« fragte sie.
    Ich war mir nicht ganz sicher. Ich wußte, was Tugend bedeutete, weil es einmal mein Wort des Tages gewesen war. Aber ich glaubte nicht, daß Männer besonderes Interesse daran hatten, weil Fran mir sagte. sie hätten nichts anderes im Sinn, als den Mädchen an den Busen zu greifen.
    Â»Wo ist denn meine Tugend?« fragte ich schließlich.
    Â»Da unter deinen Röcken«, antwortete sie und errötete ein bißchen.
    Ich wurde ebenfalls rot, weil ich plötzlich verstand, was sie meinte. Zumindest so ungefähr. Jedenfalls wußte ich, wo bei einer Kuh die Tugend saß, oder bei einem Huhn, und wozu sie diente.
    Dann fragte ich: »Wie weiß man, ob ein Mann einen liebt, Mama?«
    Â»Das weiß man eben.«
    Â»Wie hast du’s gewußt? Hat Pa gesagt: ›Ich liebe dich‹, dir was Hübsches geschenkt, und dann hast du’s gewußt?«
    Mama lachte. »Hört sich das nach deinem Pa an?«
    Â»Wie hast du’s dann gewußt, Mama?«
    Â»Einfach so.«
    Â»Wie werde ich’s wissen?«
    Â»Das wirst du schon.«
    Â»Aber
wie,
Mama,
wie
denn?«
    Sie antwortete mir nicht. Sie schüttelte nur den Kopf und sagte: »Ach Mattie, du stellst zu viele Fragen!«
    Grace mußte Chester sehr geliebt haben, um ihm ihre Tugend zu schenken, bevor sie verheiratet waren. Ich kann mir allerdings vorstellen, warum sie es getan hat. Er war sehr attraktiv. Er hatte dunkles Haar, volle Lippen und jenes bestimmte verhaltene Lächeln, das einem das gewisse Kribbeln im Bauch verursacht. Er kleidete sich gut und ging, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, mit lässig schlenderndem Schritt. Ich versuche, mich zu erinnern, wie seine Augen waren,

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