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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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fort war, dachte ich, ich würde eine Standpauke kriegen, weil ich hier gesessen und mit Royal Limonade getrunken hatte, aber so war es nicht. Pa nahm einfach Pleasants Zügel, führte ihn zum Stall zurück und fragte das Muli, ob es wisse, warum Frank Loomis vier gute Söhne habe und er keinen einzigen.

Som • no •lent
    Â»Im Pantheon der großen Dichter und überragenden Denker nimmt Milton nur den zweiten Platz hinter Shakespeare ein«, sagte Miss Wilcox, während die Absätze ihrer Stiefel beim Auf- und Abgehen über den rohen Holzboden klackten. »Jetzt könnte man natürlich einwenden, daß Donne verdiene …«
    Â»Psst,
Mattie! Mattie, schau her!«
    Ich hob den Blick von dem Buch, das ich mit Weaver teilte, und sah zu der Bank links neben mir. Jim und Will Loomis hatten eine Spinne, die an einem Stück Faden hing. Sie ließen sie an ihrer Leine hin und her krabbeln und kicherten wie blöd. Insekten zu zähmen war eine Spezialität der Loomis-Jungs. Als erstes zog Jim einen Faden aus seinem Hemdsaum und schlang ihn vorsichtig zu einer winzigen Schlinge. Dann fing Will eine Spinne oder eine Fliege, wenn Miss Wilcox ihnen zufällig den Rücken zukehrte. Er war schneller als Renfield in Bram Stokers »Dracula«, auch wenn er glücklicherweise nicht aß, was er gefangen hatte. Daraufhin schüttelte er sein Opfer in den hohlen Händen, bis es betäubt war. Dann hielt Will das Insekt fest, während Jim ihm die Schlinge über den Kopf streifte. Wenn das Insekt wieder zu sich kam, war es die Starnummer im Zirkus der Loomis-Brüder, der. je nach Jahreszeit, auch einen dreibeinigen Ochsenfrosch, einen halbtoten Seestern, eine verwaiste Krähe oder ein verkrüppeltes Eichhörnchen im Programm hatte.
    Ich verdrehte die Augen, mit sechzehn war ich einfach zu alt, um die Volksschule in Inlet zu besuchen. Dort geht man mit vierzehn ab, und die meisten bringen es nicht einmal so weit. Aber unsere alte Lehrerin Miss Parrish informierte Miss Wilcox über Weaver und mich, bevor sie ging. Sie sagte, wir seien intelligent genug, das High-School-Diplom zu schaffen, und es wäre eine Schande, wenn wir dazu keine Gelegenheit bekämen. Doch die einzige High-School in der Gegend befand sich in Old Forge, einer richtigen Stadt zehn Meilen südlich von Eagle Bay. Das war zu weit entfernt, um jeden Tag hinzufahren, vor allem im Winter. Wir hätten während der Woche bei einer Familie Kost und Logis nehmen müssen, was sich keiner von uns leisten konnte. Miss Wilcox sagte, sie würde uns den Stoff selbst beibringen, wenn wir lernen wollten. Sie hatte in New York City an einem vornehmen Mädchen-Lyzeum unterrichtet und wußte viel.
    Letzten November war sie zu mir nach Hause gekommen, um mit meinen Eltern über mein Diplom zu sprechen. Wir mußten uns alle extra waschen, bevor sie kam – sogar Pa –, Abby mußte Ingwerbrot backen und ich die Mädchen frisieren. An diesem Tag konnte Mama nicht nach unten kommen, und Miss Wilcox mußte sie in ihrem Schlafzimmer besuchen. Ich weiß nicht, was Miss Wilcox zu ihr gesagt hat, aber nachdem sie fort war, erklärte mir Mama, daß ich mein Diplom kriegen sollte, auch wenn Pa wollte, daß ich von der Schule abging.
    Weaver und ich hatten die meiste Zeit des Jahres damit verbracht, uns aufs Abschlußexamen vorzubereiten. Wir wollten das schwerste machen, die schwierigste Fächerverbindung: englischen Aufsatz, Literatur, Geschichte, Physik und Mathematik. Besonders die Mathematik machte mir Sorgen. Miss Wilcox gab ihr Bestes in Algebra, aber sie war nicht mit dem Herzen dabei. Weaver hingegen war gut darin. Manchmal reichte Miss Wilcox das Lehrerhandbuch einfach an ihn weiter. Er kämpfte sich durch die Lösung eines Problems und erklärte dann mir und Miss Wilcox, worum es ging.
    Die Columbia Universität ist ein ernster und angsteinflößender Ort, und eine der Bedingungen für Weavers Aufnahme besteht darin, daß er in allen seinen Prüfungsfächern mindestens eine Zwei plus schafft. Er hatte intensiv gelernt, genau wie ich, aber an diesem Tag im Klassenzimmer, als ich mich mit Milton herumschlug, war ich mir nicht mehr sicher, warum ich mich überhaupt bemüht hatte. Weaver hatte seinen Brief bereits im Januar erhalten, und obwohl wir jetzt schon Mitte April hatten, war für mich immer noch kein Brief eingetroffen.
    Jim Loomis beugte sich

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