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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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mich – mich, Mattie Gokey aus der Uncas Road in Eagle Bay. Es heißt, daß der Rektorin persönlich meine Geschichten gefallen, daß sie sie nicht für morbid und entmutigend hält und daß Professoren, richtige Professoren mit langen schwarzen Talaren und allen möglichen hochtrabenden Titeln, mich unterrichten wollen. Es heißt, daß ich intelligent bin, auch wenn ich Pleasant nicht zum Arbeiten bringe und das Schweinefleisch nicht richtig eingesalzen habe. Es heißt, daß ich etwas werden kann, wenn ich will. Mehr als ein unwissendes Bauernmädchen mit Mist an den Schuhen.
    Â»Es heißt, daß ich angenommen bin«, sagte ich schließlich. »Und daß ich ein Stipendium bekommen habe. Ein volles Stipendium. Vorausgesetzt, ich schaffe meine Prüfungen.«
    Miss Wilcox stieß einen Freudenschrei aus und umarmte mich. Liebevoll und fest. Sie nahm meine Arme. küßte mich auf beide Wangen, und ich sah, daß ihre Augen feucht waren. Ich wußte nicht, warum es ihr so viel bedeutete, daß ich am College aufgenommen wurde, freute mich aber, daß es so war.
    Â»Ich wußte, daß du es schaffen würdest, Mattie! Ich wußte, daß Laura Gill dein Talent erkennen würde. Diese Geschichten, die du eingereicht hast, waren hervorragend. Hab ich’s dir nicht gesagt?« Sie wirbelte einmal im Kreis herum, nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und blies den Rauch aus. »Kannst du dir das vorstellen?« fragte sie lachend. »Du studierst am College. Du und Weaver, ihr beide! Diesen Herbst. Noch dazu in New York City!«
    Sobald sie dies aussprach, sobald sie meinen Traum in Worte kleidete und damit real machte, sah ich nur noch die Unmöglichkeit des Ganzen. Mein Pa würde mich nie gehen lassen. Ich hatte kein Geld und keinerlei Aussicht, jemals welches zu bekommen. Und ich hatte ein Versprechen gegeben – eines, das mich hier festnageln würde, selbst wenn ich alles Geld der Welt hätte.
    Wenn er muß, verkauft Pa ein paar seiner Kälber zum Schlachten. Die Kühe brüllen schrecklich, wenn er sie ihnen wegnimmt, daß ich es im Stall nicht aushalte, sondern ins Maisfeld hinauflaufen und mir die Ohren zuhalten muß. Wer je eine Kuh nach ihrem Kalb hat brüllen hören, weiß, wie es ist, etwas Wunderbares in Händen zu halten, das einem dann plötzlich wieder entrissen wird. Genauso fühlte ich mich damals, und das konnte man wohl an meiner Miene ablesen, weil Miss Wilcox’ Lächeln mit einemmal verblaßte.
    Â»Du arbeitest diesen Sommer, nicht wahr?« fragte sie. »Im Glenmore?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Mein Pa läßt mich nicht.«
    Â»Mach dir keine Sorgen. Meine Schwester Annabelle gibt dir Unterkunft und Verpflegung gegen ein bißchen Hausarbeit. Sie hat ein Stadthaus in Murray Hill, das sie allein bewohnt, also gäbe es dort genügend Platz für dich. Mit dem Stipendium und Annabelle wäre für Unterricht, Unterkunft und Verpflegung gesorgt. Das Geld für Bus, für Kleidung und dergleichen könntest du dir immer dazuverdienen. Mit irgendeiner Nebenbeschäftigung. Mit Tippen vielleicht oder in einem Kaufhaus. Eine Menge Mädchen schafft es auf diese Weise.«
    Mädchen, die wissen, was sie wollen,
dachte ich. Flotte, selbstbewußte Mädchen in weißer Bluse und Twillrock, die eine Schreibmaschine oder eine Ladenkasse bedienen können. Nicht Mädchen in alten verwaschenen Kleidern und rissigen Schuhen.
    Â»Wahrscheinlich könnte ich das«, sagte ich matt.
    Â»Wie steht’s mit deinem Vater? Kann er dir gar nicht helfen?«
    Â»Nein, Ma’am.«
    Â»Mattie … du hast es ihm doch gesagt, oder?«
    Â»Nein, Ma’am, hab ich nicht.«
    Miss Wilcox nickte kurz und entschieden. Sie drückte ihre Zigarette auf der Unterseite ihres Pults aus und steckte die Kippe in ihre Tasche. Miss Wilcox wußte, wie man es anstellte, sich bei verbotenen Dingen nicht erwischen zu lassen. Das war eine seltene Fähigkeit bei einer Lehrerin.
    Â»Ich werde mit ihm reden, Mattie. Ich werde es ihm beibringen, wenn du möchtest.«
    Darauf stieß ich ein bitteres Lachen aus und antwortete: »Nein, Ma’am, das möchte ich nicht. Außer Sie wissen, wie man sich vor einem Flößerhaken wegduckt.«

Ent • man •nen
    Â»Hallo, Mattie!« rief Mr. Eckler vom Bug seines Boots. »Ich hab ein neues. Nagelneu. Gerade

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