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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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kontern, meine geliebten Bücher verteidigen, ihm sagen, daß zwischen freudiger Erregung und Todesangst ein Unterschied bestehe, war aber zu wütend, um ein Wort rauszubringen. Ich versuchte. wieder zu Atem zu kommen, aber mit jedem Atemzug sog ich seinen Geruch ein – warme Haut, frische Erde. Pferde. Ich schloß die Augen, sah aber nur ihn, wie er johlend auf dem Pritschenwagen stand und sich groß und stark gegen den Himmel abhob. Ungestüm. Furchtlos. Perfekt und schön.
    Ich dachte an mein Wort des Tages.
Kann ein Mädchen entmannt werden?
fragte ich mich.
Durch einen Jungen? Kann es um den Verstand gebracht werden?
    amlet sabbert wieder.
Silbrige Schleimfäden hängen ihm aus dem Maul. Er winselt, dann schnaubt er, und schließlich stößt er einen langen, lauten Rülpser aus. Nach Tisch sechs ist er der Gast, den ich am wenigsten mag. Ich werfe ihm von dem Teller in meiner Hand einen Buttermilchpfannkuchen zu. den er mit einem Bissen verschlingt. Bei jeder Mahlzeit verdrückt er ein Brathuhn, ein gegrilltes Steak und ein Dutzend Pfannkuchen. Er würde zehn Dutzend davon fressen, wenn er sie bekäme.
    Hamlet gehört Mr. Phillip Preston Palmer, Esquire – Anwalt aus Metuchen, New Jersey. Ich habe ihn vor zwei Wochen, kurz nach seiner Ankunft kennengelernt. Er kam in den Speisesaal gelaufen, drängte mich in eine Ecke und versuchte, den Teller Speck in meiner Hand zu erwischen. Hamlet, meine ich, nicht Mr. Palmer.
    Â»Er tut Ihnen nichts, Süße!« rief Mr. Palmer aus dem Foyer. »Er heißt Hamlet. Wissen Sie, warum ich ihn so nenne?«
    Â»Nein, Sir, ich habe keine Ahnung«, antwortete ich. weil ich ihm den Spaß nicht verderben wollte. Schließlich kamen die Gäste ins Glenmore, um Spaß zu haben.
    Â»Weil er ein großer Däne ist! Ha! Ha! Ha! Kapiert?«
    Ich hätte Mr. Palmer gern gesagt, wie alt und abgedroschen ich seinen Scherz fand, antwortete statt dessen aber nur: »Oh, natürlich, Sir! Wie treffend!«, weil ich während meiner Zeit im Glenmore ein paar Dinge gelernt hatte. Wann man die Wahrheit sagt und wann nicht. Und mein Lächeln und meine bewundernden Worte trugen mir Mr. Palmers Zuneigung und fürs Füttern und Ausführen von seinem Köter immerhin einen Extradollar pro Woche ein. Ich führte ihn im Wald aus, weit entfernt vom Hotel. Weil das schmutzige Vieh scheißt wie ein Ackergaul.
    Normalerweise freute ich mich nicht auf Hamlets abendlichen Verdauungsspazierung, aber heute bin ich froh darum. So sehr ich mich auch bemühte, es ist mir den ganzen Abend nicht gelungen, in die Nähe des Kellers zu kommen, und Grace Browns Briefe stecken noch immer in meiner Tasche. Aber ich habe mir eine andere Möglichkeit überlegt, sie loszuwerden, und Hamlet wird mir dabei helfen.
    Nachdem ich ihn gefüttert habe, bringe ich den Teller in die Küche zurück. Das Abendessen ist schon seit einer Stunde vorbei, und es dämmert bereits. In der Küche ist niemand außer Bill, dem Tellerwäscher. und Henry, dem Souschef, der ein Fleischmesser in der einen Hand hält und mit der anderen in einer Schublade wühlt.
    Â»Hamlet läßt danken, Henry«, sage ich. Henrys richtiger Name ist Heinrich. Er ist Deutscher und hat in derselben Woche wie ich im Glenmore angefangen.
    Â»Pfannkuchen für Hunde backen«, antwortet er murrend. »Bin ich dafür nach Amerika gekommen. Mattie, hast du meinen Schleifstein gesehen?«
    Â»Nein, tut mir leid, Henry«, antworte ich und gehe rückwärts aus der Tür. Immer wieder habe ich ihm erklärt, daß es Unglück bringt, wenn man nach Einbruch der Dunkelheit ein Messer wetzt. Aber er glaubt mir nicht, also habe ich den Schleifstein versteckt. Wir hatten in letzter Zeit so viel Unglück hier, daß er kein weiteres heraufbeschwören muß.
    Â»Komm, Junge«, sage ich, worauf Hamlet seine schwarzen Ohren aufstellt und mit dem Schwanz wedelt. Dann mache ich seine Leine vom Griff einer leeren Milchkanne los, wir gehen hinten ums Hotel herum, und Hamlet hebt an einer der Verandasäulen das Bein. »Laß das!« tadle ich ihn, aber er hört erst auf. nachdem er sie vollgepinkelt hat. Nervös blicke ich mich um und hoffe, daß Mrs. Morrison nichts gesehen hat. Oder die Köchin. Glücklicherweise ist niemand in der Nähe. »Komm mit, Hamlet. Und jetzt hörst du auf mich«, sage ich warnend. Er trottet

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