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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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was allerdings keinerlei Eindruck auf ihn machte. Aber wenigstens sagte er nicht Fluppe für Zigarette oder Polster für Kissen. Das war immerhin etwas.
    Er machte mit dem Kopf ein Zeichen zu dem Buch auf meinem Schoß. »Was hast du da?«
    Â»Einen Roman.
Das Haus der Freude
.«
    Er schüttelte den Kopf. »Wörter und Geschichten«, sagte er und bog auf die Uncas Road ein. »Ich weiß nicht, was du daran findest. Reine Zeitverschwendung, wenn du mich fragst.«
    Â»Ich hab dich aber nicht gefragt.«
    Royal hörte mich nicht oder ging nicht darauf ein. wenn er mich gehört hatte. Er redete einfach weiter. »Klar, ein Mann muß natürlich lesen und schreiben können, damit er in der Welt zurechtkommt, aber sonst sind Wörter einfach Wörter. Nicht besonders aufregend. Nicht wie Fischen oder Jagen.«
    Â»Woher willst du das denn wissen, Royal? Du liest doch nicht. Es gibt nichts Aufregenderes als ein Buch.«
    Der Zahnstocher wanderte vom linken in den rechten Mundwinkel. »Stimmt das?« fragte er.
    Â»Ja, das stimmt«, antwortete ich entschieden.
    Â»Ha«, sagte er, schnalzte laut mit den Zügeln und rief: »Hüjah!« Ich hörte die Pferde schnauben, als er sie antrieb. Ein Beben ging durch den Pritschenwagen. als er Geschwindigkeit aufnahm.
    Ich sah auf die neuen, lebhaften Pferde, die schwer einzuschätzen waren, und dann auf die Uncas Road. die nur aus Steinbrocken, Löchern und Staub bestand. »Haben wir’s eilig, Royal?« fragte ich.
    Er sah mich an. Sein Gesicht war ernst, aber in seinen Augen blitzte der Schalk. »Es ist das erstemal. daß ich sie ausführe. Ich weiß nicht so recht, wie sie reagieren. Aber ich möcht halt gern sehen, aus welchem Holz sie sind … Hü-JAH!«
    Mit einem Ruck zogen die Pferde an, ihre Hufe schlugen auf den harten Untergrund. Mrs. Whartons Roman glitt mir vom Schoß und fiel herunter, zusammen mit meinem neuen Aufsatzheft. »Royal, laß das!« schrie ich und hielt mich am Spritzbrett fest. Der Wagen holperte so rasant über die schlechte Straße. daß ich überzeugt war, einer von uns würde hinausgeschleudert werden. Aber Royal hörte nicht. Statt dessen stand er von seinem Sitz auf, ließ die Zügel knallen und trieb die Pferde an. »Mach langsamer! Sofort!« schrie ich. Doch er konnte mich nicht hören, weil er nur noch johlte und lachte.
    Â»Hör auf, Royal! Bitte!« flehte ich. Und dann trafen wir auf ein tiefes Loch und ich wurde quer über den Sitz geschleudert. Ich schlug mir den Kopf an der Rückenlehne an und schaffte es nur deshalb, nicht hinauszufallen, weil ich mich an seinem Bein festklammerte. Am Straßenrand sah ich Farben aufblitzen. Das Blau von Lous Kittelschürze, das Gelb von Beths Kleid.
Sie können es Pa sagen,
schoß es mir durch den Kopf.
Nachdem Royal uns beide umgebracht hat, können sie Pa zumindest sagen, wie es passiert ist.
    Dann nahmen wir so rasant eine Kurve, daß ich spürte, wie die Räder auf der rechten Seite vom Boden abhoben und wieder nach unten krachten. Immer noch mit einer Hand an Royal geklammert, gelang es mir. mich aufzurichten, während ich mit der anderen nach dem Spritzbrett tastete. Der Wind riß mir den Haarknoten auf und ließ meine Augen tränen. Ich warf einen Blick nach hinten und sah eine Staubwolke, die sich über der Straße erhob. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, brachte Royal die Pferde schließlich dazu, langsamer zu laufen, zuerst im Trab. dann Schritt. Und er setzte sich wieder. Die Pferde zerrten an den Zügeln, schnaubten und schüttelten die Köpfe, weil sie wieder losrennen wollten. Er redete auf sie ein und beruhigte sie.
    Â»Herrjeh«, sagte er zu mir. »Einen Moment lang hab ich schon gedacht, wir landen im Graben.« Und dann berührte er mich. Er beugte sich herüber und drückte seine Hand auf mein Herz, die Handfläche gegen meine Rippen, Daumen und Finger unter meine Brust gedrückt. In dem Bruchteil von Sekunden. bevor ich sie wegschlug, spürte ich, wie mein Herz dagegenpochte.
    Â»Das zerspringt ja fast«, sagte er lachend. »Möchte mal sehen, ob ein Buch das schafft.«
    Mit zitternden Händen nahm ich meine Sachen von der Ladefläche des Wagens. Auf dem Umschlag von Mrs. Whartons Roman war ein Schmutzfleck, und der Buchrücken hatte eine Delle. Ich wollte Royal entsprechend

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