Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
mein Magen zusammenkrampfte. Ich wollte nicht, daß Minnie sah. was ihr bevorstand, daher befahl ich ihr, die Augen zu schließen, streichelte sanft ihre Schläfen und sang weiter. Ich glaube, sie schlief ein paar Sekunden ein, vielleicht wurde sie auch ohnmächtig.
    Mrs. Crego zog den Melkschemel wieder heran und setzte sich darauf. Dann legte sie die Hände auf Minnies Bauch und tastete ihn ab. Sie war ganz ruhig. Es machte den Eindruck, als lausche sie mit ihren Händen. Während sie das tat, runzelte sie die Stirn, und zum erstenmal sah ich Angst in ihren Augen.
    Â»Kommt es jetzt raus?« fragte ich.
    Â»Sie.«
    Â»Was?«
    Â»Es sind zwei Babys. Eins will mit den Füßen voran raus. Ich werd jetzt versuchen, es zu drehen. Halt sie jetzt fest, Mattie.«
    Ich schob meine Arme unter Minnies Armen durch. Ihre Lider öffneten sich. »Was ist los, Matt?« flüsterte sie voller Angst.
    Â»Alles wird gut, Min, alles wird gut …«
    Aber das stimmte nicht.
    Mrs. Crego legte die linke Hand auf Minnies Bauch. die rechte verschwand unter Minnies Hemd. Minnie bäumte sich auf und schrie. Ich dachte, Mrs. Crego würde sie umbringen. Ich hielt sie fest, verbarg mein Gesicht an ihrem Rücken und betete, daß es aufhören sollte.
    Ich hatte keine Ahnung gehabt, daß Frauen bei der Geburt so leiden. Überhaupt keine. Ich wurde immer zu Tante Josie geschickt, wenn Mamas Zeit gekommen war. Dort blieben wir über Nacht, und wenn wir zurückkamen, lag Mama lächelnd mit einem neugeborenen Baby im Arm da.
    Ich habe so viele Bücher gelesen, aber keins sagt die Wahrheit über Babys. Dickens jedenfalls nicht. Olivers Mutter stirbt einfach im Kindbett, und damit hat sich’s. Bronte auch nicht. Catherine Earnshaw kriegt einfach ihre Tochter, und das war’s. Es gibt kein Blut. keinen Schweiß, keine Schmerzen, keine Angst, keinen Gestank.
    Schriftsteller sind alle verdammte Lügner. Jeder einzelne von ihnen.
    Â»Es hat sich gedreht!« rief Mrs. Crego plötzlich.
    Ich riskierte einen Blick. Ihre Hände lagen auf Minnies Knien, die rechte war voller Blut. Minnies Schreie waren in kurzes heftiges Keuchen übergegangen, wie Tiere es tun, wenn sie schwer verletzt sind.
    Â»Komm, Mädchen, pressen!« rief Mrs. Crego.
    Ich ließ Minnies Arm los. Sie nahm meine Hände. drückte sie so fest, daß ich dachte, sie würde sie zermalmen, und preßte mit ganzer Kraft. Ich spürte. wie sie sich bäumte und den Rücken wölbte, ich spürte, wie ihre Knochen knackten und war erstaunt. Ich hatte keine Ahnung gehabt, daß Minnie Simms. die den schweren Eisentopf nicht vom Herd heben konnte, wenn wir Ahornsirup kochten – zumindest nicht, solange Jim Compeau in der Nähe war –, solche Kraft besaß.
    Sie stöhnte und schnaubte, als sie preßte. »Du hörst dich an wie ein Schwein, Min«, flüsterte ich.
    Sie begann zu lachen, ein verrücktes, hilfloses Lachen, dann sank sie gegen mich, aber nicht lange. denn Mrs. Crego ließ einen Fluch gegen mich los und befahl mir, den Mund zu halten, während sie Minnie aufforderte weiterzupressen.
    Und dann endlich, mit einem Laut, der eine Mischung aus einem Schrei, einem Stöhnen und einem Schnauben war, und sich anhörte, als käme er tief unten aus der Erde statt aus Minnies Innerem, tauchte ein Baby auf.
    Â»Da ist es! Mach weiter, Minnie, pressen! So ist’s gut! Gutes Mädchen!« jubelte Mrs. Crego und holte das Baby heraus.
    Es war winzig und blau, mit Blut und einer fettähnlichen Masse verschmiert, und wirkte alles andere als ansprechend auf mich. Ich begann zu lachen, entzückt. es zu sehen, trotz seines Äußeren, und einen Moment später reichte mir Mrs. Crego das Baby, und ich weinte vor Überwältigung, das neugeborene Kind meiner ältesten Freundin in den Armen zu halten. Auch das Baby weinte und schrie Zeter und Mordio.
    Das zweite Kind, ein Mädchen, machte weitaus weniger Aufhebens, als es kam. Es hatte eine Art Haut über dem Gesicht, die Mrs. Crego sofort abzog und ins Feuer warf. »Damit der Teufel sie nicht kriegt«, sagte sie. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum er darauf scharf sein sollte. Mrs. Crego band die dicken grauen Schnüre an den Bäuchen der Babys ab und schnitt sie dann durch, was mich innerlich erbeben ließ. Dann nahm sie Nadel und Faden und nähte Minnie zu. Ich dachte, ich würde gleich

Weitere Kostenlose Bücher