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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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sie und schob, ich zog, und mit vereinten Kräften schafften wir es, sie über den Bettrand zu zerren. Ihr Hemd war über die Hüften hochgerutscht, was sie jedoch nicht zu stören schien. Minnie, die sonst so schamhaft war und sich nicht vor mir ausziehen wollte, wenn sie bei uns über Nacht blieb.
    Mrs. Crego kletterte aus dem Bett, kniete sich vor ihr nieder, drückte ihr die Schenkel auseinander, warf einen Blick dazwischen und schüttelte den Kopf. »Das Baby kann sich nicht entscheiden. Zuerst will’s zu früh kommen, jetzt gar nicht mehr«, sagte sie.
    Ich versuchte, nicht auf die dunkelroten Striemen auf Minnies Schenkeln zu sehen und auch nicht auf das Blut im Bett. Mrs. Crego wrang einen dampfenden Lappen aus und legte ihn auf Minnies Rücken. Das schien ihr ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Sie wies mich an, ihn dort festzuhalten, und kramte in ihrem Korb, aus dem sie schließlich getrocknete Kräuter, eine Ingwerwurzel und ein Glas Hühnerfett nahm.
    Â»Ich war gerade auf dem Weg zu Arlene Tanney, bei der es in einer Woche soweit ist, und wollte bloß mal auf einen Sprung bei deiner Freundin vorbeischauen. Obwohl sie nicht meine Patientin ist«, sagte Mrs. Crego. »Und hab sie hilflos auf den Verandastufen liegen sehen. Sie hat seit zwei Tagen immer wieder Wehen, was sie auch dem Doktor gesagt hat, aber der hat gemeint, daß sie sich keine Sorgen machen soll. Der Trottel. Den möchte ich mal sehen, wie er zwei Tage Wehen hat und sich dann immer noch keine Sorgen macht. Sie kann von Glück sagen, daß ich vorbeigekommen bin. Wir werden beide helfen müssen, dieses Baby aus ihr rauszubekommen.«
    Â»Aber, aber Mrs. Crego«, stammelte ich. »Ich kann nicht helfen … ich … ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    Â»Du mußt. Es ist niemand anders da«, antwortete Mrs. Crego ungerührt. »Du hast doch deinem Vater geholfen, Kälber auf die Welt zu holen? Es ist das gleiche. So ziemlich jedenfalls.«
    Oh nein, das ist es nicht,
dachte ich. Ich mochte unser Vieh zwar, aber Minnie bedeutete mir doch sehr viel mehr.
    Die nächsten sechs Stunden waren die längsten meines Lebens. Mrs. Crego hielt mich unablässig auf Trab. Ich machte Feuer im Herd, damit es warm wurde im Haus, und ich massierte Minnies Rücken, ihre Beine und ihre Füße. Mrs. Crego saß auf dem Melkschemel. rieb Minnies Bauch, drückte ihn und hielt das Ohr daran. Minnies Bauch war so groß, daß er mir angst machte. Ich fragte mich, wie das, was darin war, je herauskommen sollte. Wir gaben ihr Rizinusöl, um die Wehen zu beschleunigen. Sie erbrach es wieder. Wir stellten sie auf die Beine und zwangen sie, im Raum umherzugehen. Wir ließen sie knien, hocken und sich hinlegen. Mrs. Crego gab ihr ein Stück Ingwer zu essen, das sie ebenfalls wieder erbrach. Ich streichelte ihr den Kopf und sang »Won’t You Come Home, Bill Bailey?«, ihr Lieblingslied, nur daß ich statt Bill Bailey Jim Compeau einfügte, was sie zum Lachen brachte. wenn sie nicht stöhnte.
    Gegen Nachmittag holte Mrs. Crego ein weiteres Kraut aus ihrem Korb, aus dem sie Tee kochte. Den behielt Minnie bei sich, und die Schmerzen wurden schlimmer. Sie litt Todesqualen. Plötzlich wollte sie pressen, was Mrs. Crego aber nicht zuließ. Statt dessen drückte
sie
auf Minnies riesigen Bauch, massierte. schlug und knetete, bis sie keuchte und ihr der Schweiß übers Gesicht lief. Dann drückte sie Minnies Beine auseinander und sah wieder dazwischen hinein. »Du elender Malefitz, du. jetzt komm schon!« schrie sie und stieß den Hocker weg. Minnie sank auf mich zurück, und vor Erschöpfung und Verzweiflung strömten ihr Tränen übers Gesicht. Ich legte die Arme um sie und wiegte sie, als wäre sie mein Kind. Sie sah zu mir auf und sagte: »Mattie, sagst du Jim, daß ich ihn liebe?«
    Â»Ich werd mich hüten, ihm solchen Blödsinn zu erzählen. Sag’s ihm selbst, wenn das Baby draußen ist.«
    Â»Es kommt nicht raus, Matt.«
    Â»Sei still. Es kommt schon. Es braucht bloß Zeit, das ist alles.«
    Erneut begann ich »Bill Bailey« zu singen, aber ich war nicht mit dem Herzen dabei. Während ich sang. beobachtete ich Mrs. Crego. Sie machte wieder Wasser heiß, dann steckte sie die Hände hinein, seifte die Arme bis zum Ellbogen ein und rieb sie dann mit Hühnerfett ein. Ich spürte, wie sich

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