Das Licht des Nordens
ist im Keller. Ich habâs vor zwei Tagen gekauft. Du kannst nachsehen«, verteidigte ich mich und griff nach meinem Heft.
»Woher hast du dann das Geld dafür?« fragte er und hielt das Heft von mir weg.
Ich schluckte schwer. »Vom Farnsprossen-Pflükken. Und Fichtenharz-Sammeln. Zusammen mit Weaver. Wir haben alles verkauft. Ich hab sechzig Cents verdient.«
Die Muskeln in Pas Kiefer zuckten. Als er schlieÃlich sprach, klang seine Stimme heiser. »Willst du mir sagen, daà wir tagein tagaus Mehlbrei gegessen haben. obwohl du sechzig Cent gehabt hast?«
Darauf folgte ein lauter, scharfer Knall. Mir wurde schwarz vor Augen, ich lag auf dem Boden, ohne genau zu wissen, wie ich dort hingekommen war. Ich schmeckte Blut im Mund, und als mein Blick sich klärte, sah ich, daà Pa mit erhobener Hand über mir stand.
Er stierte mich an und lieà die Hand sinken. Zitternd stand ich langsam auf. Ich war auf die Hüfte gefallen, die mir jetzt weh tat. Ich hielt mich am Küchentisch fest und wischte mir das Blut vom Mund. Da ich meinem Pa nicht ins Gesicht sehen konnte. blickte ich runter auf den Tisch. Ich sah eine Rechnung und Geld â einen schmutzigen, zerknüllten Geldschein. Zehn Dollar. Für zwölf Gallonen Ahornsirup. Ich wuÃte, daà er auf zwanzig gehofft hatte.
Endlich konnte ich ihn wieder ansehen. Er wirkte müde. Entsetzlich müde, erschöpft und alt.
»Mattie ⦠Mattie, es tut mir leid ⦠ich wollte nicht â¦Â«, sagte er und streckte die Hand nach mir aus.
Ich schüttelte ihn ab. »Macht nichts, Pa. Geh schlafen. Wir müssen morgen das obere Feld pflügen.«
I
ch stehe in Unterwäsche da
und mache mich zum Schlafengehen fertig. Das Unterhemd klebt mir an der Haut. Es fühlt sich an wie ein nasser Putzlappen. Auf dem Dachboden des Glenmore ist es grauenvoll heià und so stickig, daà ich kaum Luft bekomme. Aber nach einem solchen Tag macht es einem nichts aus, wenn man sich mit sieben anderen Mädchen ein Zimmer teilen muÃ, die in der Julihitze bedient, Geschirr abgewaschen und Zimmer geputzt haben, sich aber drei Tage lang kein Bad, ja nicht mal eine kurze Erfrischung im See gönnen konnten.
Die Köchin kommt herein. Sie schnüffelt herum und schimpft, sagt dem einen Mädchen, es solle seine Stiefel unters Bett stellen, dem anderen, es solle seinen Rock vom Boden aufheben, und geht so bis zur Mitte des Zimmers.
Ich hänge meine Bluse und meinen Rock ans Bett und ziehe die Haarklammern aus dem Knoten. den mir Ada heute morgen gemacht hat â im Stil der Gibson-Girls, der allerdings auf den Zeichnungen im
Ladiesâ Home Journal
besser aussieht als an mir. Dann ziehe ich meine Strümpfe aus und leg sie zum Lüften aufs Fensterbrett.
»Frances Hill, du putzt morgen diese Stiefel, verstanden? Mary Anne Sweeney, leg diese Illustrierte weg â¦Â«
Ich lege mich auf eine Seite des alten Eisenbetts. das ich mir mit Ada teile, ohne den Quilt zurückzuschlagen. Ada kniet auf der anderen Seite und betet. Ich würde auch gern beten, aber ich kann nicht. Ich finde die Worte einfach nicht.
»Also hört zu, Mädchen, ich möchte, daà ihr jetzt gleich schlaft. Kein Lesen und kein Tuscheln. Morgen früh werdet ihr zeitig geweckt, um Punkt halb sechs. auch wenn ihr rummault. Wir kriegen Gäste aus allen Landesteilen â wichtige Leute â, und ich möchte, daà ihr ausgeschlafen seid. Morgen wird nicht getrödelt. ist das klar? Ada?«
»Ja, Frau Köchin.«
»Lizzie?«
»Ja, Frau Köchin.«
»Mrs. Morrison verläÃt sich darauf, daà ihr euch alle tadellos benehmt. Schlaft gut, Mädchen, und vergeÃt nicht, das arme Ding unten in eure Gebete einzuschlieÃen.«
Ich frage mich, wie ich an das tote Mädchen unten denken und trotzdem gut schlafen soll. Meiner Ansicht nach geht nur das eine oder das andere. Ich höre, wie Ada aufsteht, und spüre dann, wie die Matratze bebt. Sie klopft ihr Kissen zurecht und wirft sich herum. Zuerst legt sie sich auf die Seite, dann auf den Rücken. »Ich kann nicht schlafen, Matt«, flüstert sie mir zu.
»Ich auch nicht.«
»Sie war nicht älter als wir, glaub ich. Glaubst du wirklich, daà ihr junger Freund noch am Leben ist?«
»Möglich wärâs schon. Man hat seine Leiche nicht gefunden«, antworte ich und versuche, zuversichtlich zu klingen.
»Sie sind
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