Das Licht des Nordens
⦠all die
Arbeit,
Ellen«, sagte meine Tante. »Sieben Kinder ⦠wovon drei nicht überlebt haben, weil
du
nicht kräftig genug warst ⦠und jetzt kommt noch eins. Was denkst du dir nur? Du bist doch kein Ackergaul. Du ruinierst dir die Gesundheit.«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach tun, Josie?«
»Weis ihn ab, um Himmels willen. Er sollte dich nicht zwingen.«
Darauf folgte ein langes, eisiges Schweigen. Dann sagte meine Mama: »Er
zwingt
mich nicht.« Und dann schlug mir die Wohnzimmertür fast an den Kopf, als sie hereinstürmte, um mich mit nach Hause zu nehmen, obwohl ich mit dem Abstauben noch nicht fertig war. Danach haben sie wochenlang kein Wort mehr gewechselt, und nachdem sie sich schlieÃlich versöhnt hatten, gab es keine Anschuldigungen mehr gegen meinen Pa.
Meine Tante konnte sehr anstrengend sein, und sie machte mich manchmal wütend, aber die meiste Zeit tat sie mir leid. Sie glaubte, daà Figuren auf den Regalen, weiÃer Zucker im Tee und Spitzen an der Unterwäsche zählten. Aber das kam alles daher, daà sie und Onkel Vernon nicht im gleichen Zimmer schliefen. wie mein Vater und meine Mutter es taten, daà Onkel Vernon sie nie auf den Mund küÃte, wenn er sich unbeobachtet glaubte, und daà er ihr keine Lieder vorsang, die sie zum Weinen brachten, wie zum Beispiel das eine über Miss Clara Verner und ihren Liebsten oder über Monroe, der sein Leben beim Holzfällen verlor.
Ich stellte Johannes den Täufer weg und nahm Christus im Garten Gethsemane. Er war von weniger guter Qualität. Jesus hatte einen seltsamen Gesichtsausdruck und einen grünlichen Schimmer im Gesicht. Er sah eher aus wie ein Mann mit Magenbeschwerden als einer, der gekreuzigt werden sollte. Ich drückte ihn fest an mich, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. dann schickte ich schnell ein Gebet zu ihm, damit er meine Tante gefügig machte.
Während ich ihn polierte, fragte ich mich, warum um alles in der Welt jemand solchen Kitsch sammelte. Wörter zu sammeln, war doch viel besser. Sie nahmen nicht so viel Platz weg, und man muÃte sie nie abstauben. Obwohl ich zugeben muÃte, daà ich an diesem Morgen mit meinem Wort des Tages nicht viel Glück hatte.
Uriel der Hethiter
war das erste Wort, das das Lexikon hergegeben hatte, gefolgt von
Stinktopf
und
Warzenschwein.
Danach hatte ich das Buch angewidert zugeklappt.
Auf Jesus folgte eine Bibel, auf der mit Lettern aus Vierzehn-Karat-Gold
Das Gute Buch
geschrieben stand. Ich nahm sie in die Hand und wollte gerade meiner Tante vom Barnard erzählen und sie um Geld bitten, als sie das Wort ergriff.
»Paà auf, daà du das Gold nicht abreibst«, warnte sie mich.
»Ja, Tante Josie.«
»Liest du die Bibel, Mattie?«
»Manchmal.«
»Du solltest mehr Zeit darauf verwenden, die Heilige Schrift zu lesen statt all der Romane. Was willst du dem Herrn am Jüngsten Tag sagen, wenn er dich fragt. warum du die Bibel nicht gelesen hast? Hm?«
Ich werde ihm sagen, daà seinen Presseleute ein wenig Unterricht im Formulieren gutgetan hätte,
dachte ich.
Meiner Ansicht nach war das Gute Buch gar nicht so besonders gut. Es war zu viel von Zeugung und Heimsuchung die Rede. Auch keine richtige Handlung. Ein paar der Geschichten waren in Ordnung â etwa die von Moses, der das Rote Meer teilt, und Hiob und Noah und seine Arche, aber wer auch immer das aufgeschrieben hat, hätte viel mehr daraus machen können. Ich hätte zum Beispiel gern gewuÃt, was Mrs. Hiob davon gehalten hat, als Gott wegen einer albernen Wette ihre ganze Familie auslöschte. Oder was Mrs. Noah sich dachte, als sie ihre Kinder in der Arche sicher bei sich hatte, während die Kinder aller anderen ertranken? Oder wie Maria es aushielt, als die Römer ihrem Jungen Nägel in die Hände schlugen. Ich weiÃ. daà die Verfasser alle Propheten und Heilige waren. aber im Klassenzimmer von Miss Wilcox hätte ihnen das nichts genützt. Sie hätte ihnen einen Vierer gegeben. Ich stellte die Bibel zurück und nahm mir die Sieben Todsünden vor: Stolz, Neid, Zorn, Lust, Völlerei. Faulheit und Geiz. Ich muÃte auf den Schemel steigen. um hinaufzugreifen, weil sie auf einem Regal über den zwei Fenstern des Wohnzimmers standen.
»Da ist Margaret Pruyn«, sagte meine Tante und sah aus dem Fenster zu Dr. Wallaceâ Haus hinüber. »Das ist das zweite Mal diese
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