Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
Woche, daß sie zum Doktor geht. Sie sagt nicht, was ihr fehlt, aber das braucht sie auch nicht. Ich weiß, was los ist. Sie ist dünn wie eine Bohnenstange und hat auch dieses wächserne Gesicht. Brustkrebs. Das weiß ich. Genau wie bei deiner Mama. Gott hab sie selig.« Darauf folgte ein Seufzer, dann ein Schniefen, und dann tupfte sich Tante Josie die Augen mit einem Taschentuch ab. »Arme, liebe Ellen«, schluchzte sie.
    Ich kannte derlei Gefühlsausbrüche. Meine Tante hatte nicht viel Ablenkung, und sie neigte zum Grübeln. »Schau, Tante Josie«, sagte ich und deutete auf das Haus des Doktors. »Da geht Mrs. Howard rein. Was fehlt ihr denn?«
    Meine Tante schneuzte sich laut und zog wieder den Vorhang zurück. »Ischias«, sagte sie, und ihre Miene hellte sich sichtlich auf. »Ein eingeklemmter Nerv im Rückgrat, der ihr furchtbar zu schaffen macht, wie sie mir gesagt hat.« Tante Josie weiß Krankheiten zu schätzen. Über Anzeichen und Symptome kann sie sich stundenlang auslassen, und was Kartarrh. Hämorrhoiden, Gürtelrose, Hängebauch, Brüche und Verstopfung anbelangte, galt sie als Autorität.
    Â»Da ist Alma auf dem Heimweg«, sagte sie und reckte den Hals. Alma McIntyre war die Posthalterin und eine gute Freundin meiner Tante. »Wer ist das bei ihr, Mattie? Mit wem redet sie da? Sie reicht ihm doch etwas?«
    Ich sah aus dem Fenster. »Das ist Mr. Satterlee«, antwortete ich. »Sie gibt ihm einen Umschlag.«
    Â»Wirklich? Was da wohl drin ist?« Sie klopfte ans Fenster und versuchte, Mrs. McIntyre oder Mr. Satterlee auf sich aufmerksam zu machen, aber sie hörten sie nicht. »Schon zweimal diese Woche wurde Arn bei den Hubbards gesehen, Mattie. Weißt du, was da los ist?«
    Â»Nein, Ma’am.«
    Â»Das kriegst du doch raus, und dann sagst du’s mir.«
    Â»Ja, Ma’am«, antwortete ich und versuchte erneut. das Thema zu wechseln, um meine Frage zu stellen. aber meine Tante gab mir keine Gelegenheit dazu.
    Â»Da geht Emily Wilcox«, sagte sie und beobachtete meine Lehrerin im Vorbeigehen. »Die ist ziemlich von sich eingenommen. So findet sie nie einen Mann. Diese übergescheiten Frauen mag doch keiner.«
    Tante Josie liest wohl auch Milton, dachte ich. Er sagt das gleiche, wenn auch eleganter.
    Â»Weißt du, Mattie, ich bin sicher, Emily Wilcox ist von den Iverson Wilcox’ in New York City, aber es ist seltsam, weil Iverson Wilcox drei Töchter hat – zwei sind verheiratet, eine ist eine alte Jungfer. Das hat Alma gesagt, und die muß es ja wissen. Schließlich war ihr Bruder Hausmeister im Sagamore, wo die Wilcoxens ihre Sommerferien verbrachten, aber Annabelle Wilcox ist eine Miss und Emily Wilcox ist ebenfalls eine Miss – Alma sagt, der Absender auf ihren Briefen lautet immer
Miss
Wilcox. Und Emily unterrichtet. Sie muß ja eine Miss sein, wenn sie unterrichtet. Sie kriegt Briefe von einer Mrs. Erdward Mayhew – Alma ist sicher, daß das die dritte Schwester ist, und die ist offensichtlich verheiratet – aber wenn angeblich nur eine unverheiratet ist, warum gibt es dann zwei Misses? Sie kriegt auch Briefe von einem Iverson Jr. – das ist natürlich ihr Bruder. Und von einem Theodore Baxter – keine Ahnung, wer das ist. Und von einem Mr. John Van Eck von Scribner und Söhne – einem Verlagshaus. Warum unterhält eine junge Frau eine Korrespondenz mit einem Verleger? Das sind doch zwielichtige Leute. Denk an meine Worte, Mattie. diese Frau hat einen Zug zum Leichtlebigen an sich.«
    Das alles stieß Tante Josie hervor, ohne Luft zu holen. Pa sagt, Onkel Vernon sollte sie an den Schmied vermieten, weil man sie als Blasebalg verwenden könne. Sobald meine Lehrerin um die Ecke verschwunden war und Tante Josie sie nicht mehr sehen konnte, hörte sie auf, Miss Wilcox herunterzumachen, und suchte sich ein anderes Thema. Mich.
    Â»Ich hab gehört, du hast dich neulich mit Royal Loomis rumgetrieben«, sagte sie.
    Ich stöhnte auf und fragte mich, ob denn das ganze Land Bescheid wußte. Und die Sache war noch immer nicht ausgestanden, vor allem was Weaver anbelangte. der gesagt hatte: »Herrjeh, Matt, ich hab immer gewußt. daß du dummes Viehzeug magst, aber Royal Loomis?«
    Lou neckte mich, erzählte es jedem, den sie kannte. und die zogen mich dann auch auf. Ich bemühte mich sehr, alles gelassen hinzunehmen, schaffte

Weitere Kostenlose Bücher