Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
beenden, weil eine andere Stimme sie unterbrach. »Nein, Mister, Sie wollen doch keinen Ärger machen. Machen Sie lieber. daß Sie weiterkommen, bevor sein Pa auftaucht. Oder seine fünf Brüder. Von denen einer gefährlicher ist als der andere.«
    Es war Royal, der in voller Größe, mit vor der Brust verschränkten Armen auf dem Bahnsteig stand. Seine Schultern wirkten breit unter dem Hemd, seine Arme kräftig und stark, und Jim und Will standen direkt hinter ihm. Ich hatte keine Ahnung, woher sie plötzlich aufgetaucht waren. Ich blickte an ihm vorbei und sah den Pritschenwagen seines Vaters mit Milchkannen darauf. Offensichtlich hatte er gerade ausgeliefert.
    Der Mann musterte Royal von oben bis unten. dann blickte er zu Mr. Pulling und Mr. Myers, deren Gesichtsausdruck nichts verriet, um dann die Gleise hinunterzusehen, als erwartete er, Weavers Vater und seine fünf bösen Brüder zu entdecken, die auf ihn losgehen wollten. Er zog sich die Manschetten stramm. »Na schön«, sagte er. »Na schön.« Dann nahm er seine Koffer, ergriff den Arm seiner Frau und stolzierte zu dem wartenden Wagen. Ich sah, wie er dem Kutscher Münzen in die Hand drückte und auf sein übriges Gepäck deutete.
    Â»Dieser Junge zieht an einem einzigen Tag einen ganzen Sack voller Probleme auf sich«, sagte Mr. Pulling. »Alles wieder in Ordnung?«
    Â»Na sicher«, antwortete Royal. Und nachdem Mr. Pulling fort war, fügte er hinzu: »Möchtest du mit heimfahren, Matt?«
    Â»Danke, Royal, aber ich sollte wohl besser nach Weaver sehen.«
    Er zuckte mit den Achseln.
    Ich lief zu dem Karren zurück. Weavers Mama hatte ihn beiseite genommen und hielt ihm die Standpauke des Jahrhunderts. Sie war vollkommen außer sich. Ihre Augen funkelten, sie drohte mit dem Finger und schlug ihm mit der Hand auf die Brust. Ich hörte nicht alles, verstand aber, daß »verdammte Narren, die sich selbst hinter Gitter bringen, nicht aufs College gehen können«. Weaver blickte mit gesenktem Kopf zu Boden. Einen Moment lang sah er auf, lange genug. um etwas zu ihr zu sagen, und mit einemmal war ihre ganze Wut verflogen, sie wurde schlaff wie ein geplatzter Reifen, begann zu weinen, und Weaver legte die Arme um sie.
    Ich hielt es für besser, die beiden nicht zu stören, deshalb warf ich das Geld von Mr. Myers Abendessen in die Büchse mit dem Wechselgeld, nahm meine Schulbücher vom Karren und rannte los, um Royal einzuholen. Er überquerte gerade mit dem Pritschenwagen die Gleise. Jim und Will saßen hinten auf den Milchkannen, daher glaubte ich mich in Sicherheit. Royal würde nicht versuchen, mich zu küssen oder mich anzugrapschen, wenn die beiden dabei waren. dachte ich erleichtert. Und zugleich enttäuscht.
    Â»Kann ich immer noch mitfahren?« rief ich.
    Â»Sicher.«
    Â»Und du fährst auch nicht zu schnell?«
    Â»Na komm, steig auf, Matt. Der Zug fährt gleich ab. und ich bin im Weg.«
    Ich lief auf die andere Seite des Pritschenwagens und kletterte hinauf. Ich war froh, neben ihm zu sitzen. Froh, auf dem Heimweg seine Gesellschaft zu haben. Was geschehen war, hatte mich durcheinandergebracht. und ich brauchte jemanden, um darüber zu reden. »Danke, Royal«, sagte ich.
    Â»Für was denn? Ich fahr sowieso heim.«
    Â»Daß du Weaver aus dem Schlamassel geholfen hast.«
    Â»Wie’s aussieht, steckt er immer noch drin«, antwortete er und warf einen Blick auf Weaver und dessen Mutter zurück.
    Â»Ich glaub, seine Mama ist durcheinander wegen dem, was seinem Pa passiert ist«, sagte ich. Royal wußte, was mit Weavers Vater passiert war, jeder wußte das.
    Â»Kann schon sein«, antwortete Royal und trieb seine Pferde von den Gleisen herunter.
    Â»Vielleicht hat es damals genauso angefangen, wie heute die Sache mit dem Koffer«, sagte ich, immer noch aufgewühlt.
    Â»Vielleicht.«
    Â»Mit ein paar Worten. Und dann noch ein paar. Und dann werden die Worte zu Beleidigungen, Drohungen und noch Schlimmerem, und am Ende ist ein Mensch tot. Bloß wegen ein paar Worten.«
    Royal schwieg, und ich glaubte, daß er darüber nachdachte, was ich gesagt hatte.
    Â»Ich weiß, daß du mir einmal gesagt hast, Worte seien bloß Worte, Royal, aber Worte können manchmal viel bewirken …«
    Ich spürte einen Stoß im Rücken. »Hey, Mattie …«
    Ich drehte mich um. »Was ist Jim?

Weitere Kostenlose Bücher