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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Was willst du?« fragte ich ärgerlich.
    Â»Da geht Seymour! Willst du ihm nicht winken?«
    Â»Wer?«
    Â»Seymour, Mattie. Seymour Butts!«
    Jim und Will schüttelten sich vor Lachen. Royal lachte zwar nicht, aber er grinste. Und schwieg, bis wir zu Hause waren.
    Tot. Das werd ich sein,
wenn die Köchin mich erwischt. In Adas abgewetztem Morgenmantel und mit offenem Haar die Haupttreppe des Hotels hinunterzugehen, als wäre ich ein zahlender Gast. Wir dürfen nur die Hintertreppe benutzen, aber dafür müßte ich am Schlafzimmer der Köchin vorbei, und sie hat einen leichten Schlaf.
    Es ist Mitternacht. Ich höre die große Standuhr in der Eingangshalle die Stunde schlagen. Es ist dunkel, aber ich wage nicht, eine Lampe anzuknipsen. Doch ein großer Sommermond steht am Himmel, und das Glenmore hat viele Fenster, weshalb ich genügend sehen kann, um nicht die Treppe hinunterzufallen und mir den Hals zu brechen.
    Das Haupthaus hat drei Stockwerke und einen Dachboden. Alles in allem vierzig Zimmer. Wenn das Hotel wie diese Woche ganz ausgebucht ist, befinden sich über hundert Leute in dem Gebäude. Lauter Menschen, die einander fremd sind, kommen und gehen. essen und lachen, atmen, schlafen und träumen unter demselben Dach.
    Manchmal lassen sie Dinge zurück. Eine Flasche Duftwasser, ein zerknülltes Taschentuch, einen Perlknopf, der von einem Kleid gefallen und unter ein Bett gerollt ist. Und manchmal lassen sie andere Dinge zurück. Dinge, die man nicht sehen kann. Einen Seufzer, hängengeblieben in einer Ecke. Erinnerungen, verfangen in den Vorhängen. Ein Schluchzen, das gegen die Scheibe prallt wie ein verirrter Vogel. Ich kann diese Dinge spüren, wie sie förmlich huschen. kriechen und flüstern.
    Ich komme an den Fuß der Treppe und lausche. Das einzige Geräusch ist das Ticken der Uhr. Zu meiner Rechten befindet sich der Speisesaal. Er ist dunkel und leer. Direkt vor mir, durch die Verandafenster. kann ich das Bootshaus und den See erkennen, der ruhig und still daliegt, und dessen schwarze Oberfläche vom Mond silbern überzogen ist. Ich bete, daß mir nicht zufällig jemand begegnet. Weder Mrs. Morrison, die auf ihren Mann wartet, noch Mr. Sperry, der immer die Buchhaltung macht, wenn er nicht schlafen kann, oder, Gott bewahre, Tisch sechs, wie eine scheußliche Spinne in einer Ecke lauernd.
    Ich gehe unter dem Kandelaber im Foyer hindurch und an dem Kleiderständer vorbei, der aus Ästen und Tierhufen gemacht ist. Ich durchquere den Gang, der zum Salon führt, und ein Schrecken durchzuckt mich. als ich Licht sehe, das aus dem Raum auf den Gangteppich fällt, aber dann ist mir klar, warum: Das ist der Ort, an dem Grace Brown aufgebahrt ist. Mrs. Morrison hat die Lampe brennen lassen, weil es pietätlos wäre, die Toten allein im Dunkeln zurückzulassen. Sie haben noch genügend Dunkelheit vor sich.
    Durch den Speisesaal schleiche ich mich zu den Küchentüren. In der Küche gibt es nicht viele Fenster. und ich brauche ein paar Sekunden, bis sich meine Augen an die größere Dunkelheit gewöhnt haben. Langsam schälen sich der Arbeitstisch der Köchin und ihr großer, ausladender Herd aus dem Dunkel. Gleich links davon befindet sich die Kellertür. Ich hab sie fast erreicht, als sich mein Fuß in irgendwas verfängt und ein ohrenbetäubendes Krachen ertönt, und im nächsten Moment bin ich schon unter dem Arbeitstisch und zittere wie eine der Sülzen der Köchin.
    Ich warte, daß die Lichter angehen, das Geräusch von Schritten und ärgerlichen Stimmen einsetzt, und denke mir schnell eine Ausrede aus, aber niemand kommt. Die Köchin ist weit entfernt im oberen Stockwerk, Mrs. Morrisons Zimmer befindet sich auf der anderen Seite des Hotels, und Mr. Morrison, Henry und Mr. Sperry suchen offensichtlich noch immer den Wald ab, was mir sehr gelegen kommt. Ich krieche unter dem Tisch hervor und stelle fest, daß ich über die blöde Eismaschine gestolpert bin. Den Rest des Wegs zur Kellertür lege ich rennend zurück, ich drehe den Knopf, aber sie istverschlossen.
    Was jetzt?
Grace Brown ist fort, und ihre Briefe sollten es auch sein. Es sind Liebesbriefe, ganz sicher. Sie sind privat, und nie sollte sie jemand zu Gesicht bekommen. Ich überlege mir, den großen Gasherd anzuzünden und sie in eine Flamme zu halten. Ich weiß, wenn mich die Köchin dabei erwischen

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