Das Licht des Nordens
würde. würde sie mich auf der Stelle rauswerfen, denn der Herd hat seine Launen, und das Glenmore ist aus Holz gebaut. Aber es gibt immer noch den See, und einem Moment lang überlege ich, mich hinauszuschleichen und die Briefe vom Dock zu werfen, wie ich es früher am Abend hatte tun wollen, doch es gehört sich nicht, drauÃen im Nachthemd herumzurennen, zudem könnte jeden Moment die Suchmannschaft zurückkehren. Ich werde wohl bis morgen warten müssen, wenn viel los ist und die Köchin abgelenkt sein wird.
Ich verlasse die Küche und mache mich auf den Weg zum Dachboden zurück. Ich befehle meinen FüÃen zu gehen, mich direkt nach oben zu bringen, aber sie gehorchen mir nicht. Sie bringen mich statt dessen in den Salon und dann in das kleine Zimmer, das davon abgeht. Die Wunden auf Grace Browns Lippen wirken im Licht der Lampe dunkler, und der Schnitt auf der Stirn sieht schlimmer aus.
Wahrscheinlich, denke ich, hat sie sich den Kopf am Dollbord angeschlagen, als das Boot kenterte. Vielleicht geriet sie auch unters Boot, nachdem sie ins Wasser gefallen war, und schlug mit dem Kopf dagegen. Ja, das wäre eine Erklärung. Das
ist
die Erklärung. Ich möchte nicht länger über diese Frage nachdenken. denn sie wirft zu viele andere auf. Statt dessen streiche ich Graceâ Rock glatt.
Ihre Kleider sind immer noch feucht. Ebenso ihr Haar. Sie hatte einen kleinen Koffer im Foyer zurückgelassen. Jemand hat ihn neben das Bett auf den Boden gestellt. Gemeinsam mit einer schwarzen Seidenjacke. die Mr. Morrison neben dem gekenterten Boot im Wasser treiben sah. Carl Grahams Sachen sind nicht hier. Er hat sie mit sich genommen. Als ich ihn mit Grace über den Rasen zum Bootshaus gehen sah, hatte ich mich gefragt,
welcher Narr nimmt einen Koffer und einen Tennisschläger zum Rudern mit?
Ich habe groÃes Mitleid mit Grace Brown, die hier unter lauter Fremden aufgebahrt ist. Sie sollte im Haus ihrer Mutter sein, mit ihren eigenen Sachen um sich. und ihre Familie sollte Totenwache bei ihr halten. Ich finde es nur recht und billig, daà ich ihr eine Weile Gesellschaft leiste. Ich setze mich in einen Korbstuhl. zucke zusammen, als er knarzt, starre auf das Bild an der Wand und versuche, an gute Dinge über die Tote zu denken, wie man es bei einer Totenwache tut. Grace Brown hatte ein hübsches Gesicht, das ist ein Anfang. Hübsch und sanft. Sie war brünett, zartgliedrig und hatte eine schöne Figur. Ich erinnere mich an ihre Augen. Auch sie waren schön. Und freundlich ⦠und ⦠aber es hilft nichts. Obwohl ich mich verzweifelt dagegen wehre, muà ich ständig an diesen bläulichen, häÃlichen Schnitt auf ihrer Stirn denken.
Ich sehe ihn an â ich kann nicht anders â, und die Fragen, die ich den ganzen Tag zurückgedrängt habe. stürmen auf mich ein wie die Schweine meines Pas zur Fütterungszeit.
Warum hat mir Grace Brown die Briefe zum Verbrennen gegeben? Warum hatte sie so traurig ausgesehen? Und Carl Grahm â war er Carl oder Chester. Warum hatte er »Carl Grahm, Albany« ins Fremdenbuch geschrieben, obwohl Grace ihn Chester nannte und ihre Briefe an »Chester Gillette, 17 1/2 Main Street, Cortland, New York« adressierte?
Ich ziehe die Briefe aus meiner Tasche. Das sollte ich nicht tun, ich weiÃ, es ist falsch, aber das trifft auch auf die Wunde an Grace Browns Stirn zu. Ich ziehe den obersten Brief unter dem Band hervor, öffne ihn und beginne zu lesen. Ich lese Sätze über Freunde und Nachbarn, Reisepläne und Kleider und suche nach Antworten auf meine Fragen.
South Otselic, N.Y.
19. Juni 1906
Mein Lieber -
Ich habe oft das Sprichwort gehört, »wennâs hart kommt, kommtâs knüppelhart«, hab aber bis zum heutigen Tag nicht gewuÃt, was es bedeutet â¦
Als ich nach Cincinnatus kam, gerade als wir uns auf den Heimweg machten, hörte ich, daà meine Schwester sehr krank sei. Als ich bei ihr ankam, schickte ich meine Koffer und die Kutsche nach Hause, und da bin ich nun. Das Haus war voller Freunde und Verwandter, die in kleinen Gruppen zusammenstanden, weinten und miteinander redeten. Ich habe eine neugeborene Nichte, aber was meine Schwester anbelangt, hat der Arzt alle Hoffnung aufgegeben, daà sie die Kraft hat, auch nur ein weiteres Jahr durchzustehen â¦
Ich lehne mich zurück und fühle mich erleichtert. Grace Brown war traurig, weil ihre
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