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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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ich zu dem Karren zurückging, kam ich an einem Ehepaar aus der Stadt vorbei, das neben seinem Gepäck stand. »Ach, verdammt, Trudy, warte einen Moment«, hörte ich den Mann ungeduldig sagen. »Ich seh nirgendwo einen Träger. Ah! Da ist ein Negerjunge. He, du! Ich brauch Hilfe hier drüben!«
    Weaver befand sich weiter unten am Bahnsteig, aber er hörte den Mann. Er drehte sich um, und ich sah einen bösen Ausdruck in seinen Augen, den ich nur allzugut kannte. Es war die Art von Ausdruck, wie man ihn von jungen Pferden kennt, die sich nicht satteln lassen, sondern sich lieber zu Tode rennen, als sich den Willen eines Reiters aufzwingen zu lassen.
    Ich ging um den Mann herum, und als ich bei Weaver angelangt war, packte ich ihn am Ärmel. »Beachte ihn gar nicht«, sagte ich und zog ihn weiter. »Laß ihn einfach stehen und weiterbrüllen, den dummen Esel.«
    Â»He, du! Sam! Ich sagte, ich brauch Hilfe hier drüben!«
    Weaver schüttelte mich ab. Er drehte sich um und lächelte. Ein breites, scheußliches Lächeln. »Aba sicha. Mista Boss, sicha!« rief er. »Bin gleich da, sicha, auf da Stelle!«
    Â»Weaver!« rief seine Mutter. Ihre Stimme klang ängstlich.
    Â»Weaver, nicht!« zischte ich, ohne zu wissen, was er vorhatte, aber aus Erfahrung wußte ich, daß es nichts Kluges oder Gutes sein konnte.
    Â»Da bin ich!« sagte er und verbeugte sich vor dem Paar.
    Â»Bring mein Gepäck zu dem Wagen«, sagte der Mann und deutete auf einen wartenden Pritschenwagen.
    Â»Auf da Stelle, Boss!«
    Weaver nahm das größte Gepäckstück, einen glatten Lederkoffer mit glänzenden Messingschnallen, hob ihn über den Kopf und ließ ihn fallen.
    Â»Hey!« brüllte der Mann.
    Â»Ah jeh! Tut mich so leid. Bin bloß ’n dummer Nigger, ja. Kein Sorge, Mista. Mach’s wieda gut. Holla!« sagte Weaver. Dann packte er den Koffer erneut und versetzte ihm einen so heftigen Stoß, daß er über den Bahnsteig schlitterte, gegen die Wand des Bahnhofs prallte, aufsprang und Kleider herausfielen. Noch einmal versetzte er dem Koffer einen Tritt. »Ja, Sir! Sofort. Sir! Bin schon da! Sicha! Auf da Stelle!« rief er.
    Auch der Mann schrie. Ebenso seine Frau und Weavers Mama. Alle gingen aus dem Weg, und Weaver kickte den Koffer herum. Den ganzen Bahnsteig entlang und wieder zurück. Dann kamen die Schaffner aus dem Bahnhof geeilt, wo sie eine Tasse Kaffee getrunken hatten, ebenso Mr. Pulling, und Mr. Myers sprang schreiend und gestikulierend von der Lokomotive herunter, und mir fiel in meiner Panik Weavers Vater ein. Ich stellte mir vor, was Weaver gesehen haben mußte. Weiße Hände auf schwarzer Haut. So viele weiße Hände. Und ich wußte, daß die Männer. die auf uns zu liefen, alles nur noch schlimmer machen würden. Also sprang ich zwischen Weaver und den Koffer, als er gerade zu einem neuen Tritt ausholte.
    Â»Bitte, Weaver«, sagte ich und zuckte zusammen. »Hör auf.«
    Was er auch tat. Er wandte sich im letzten Moment ab und trat statt auf mich auf einen Postsack ein. Ich schluckte. Weaver ist schmal, aber stark, und der Tritt hätte mir das Fußgelenk zerschmettern können. Ganz vorsichtig nahm ich ihn an den Handgelenken und schob ihn Schritt für Schritt zurück. Seine Arme waren steif und zitterten, und er atmete schwer. Ich roch förmlich die Wut, die aus ihm kam, und den Schmerz. Ich schob ihn zum Karren seiner Mama hinüber, dann sammelte ich die Kleider des Mannes auf und versuchte, so gut es ging, den Schmutz davon abzuschütteln. Ich faltete alles ordentlich zusammen und legte es in den Koffer zurück. Der Koffer hatte ziemliche Schrammen, aber wenigstens funktionierten die Schließen noch. Ich machte ihn zu und stellte ihn zum Rest des Gepäcks des Mannes.
    Â»Jetzt sieh dir das an! So geht das nicht! Er hat mir alles kaputtgemacht!« stieß der Mann hervor.
    Â»Es tut ihm leid, Sir. Das war nicht seine Absicht.«
    Â»Aber sicher war das seine Absicht! Zumindest die Reinigung meiner Kleider muß er bezahlen. Und einen neuen Koffer. Gibt’s hier einen Polizisten? Einen Sheriff oder so was? Ich will ja keine Schwierigkeiten machen, aber man sollte ihn wirklich …«
    Â»Nein, bitte!« rief Weavers Mama mit verzweifeltem Blick und hielt ihr Hühnergeld umklammert. »Ich bezahle Ihnen …«
    Aber sie kam nicht dazu, ihren Satz zu

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