Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
bleiben und seine Hand halten. Onkel Fifty verbirgt seine Gefühle nicht. Wenn er fröhlich ist, lacht er, und wenn ihm das Herz schwer ist – was der Fall war, als er vom Tod meiner Mama hörte – weint er wie ein Kind. Pa sagt, das kommt daher, weil er eines ist.
    Ich kam zwei Stunden zu spät in die Schule. Für die übrigen Schüler war der Unterricht schon aus, nur Weaver und ich hatten noch zu tun. Miss Wilcox stand vor dem Schulhaus und hielt Ausschau nach mir, als ich ankam. »Ich dachte schon, du würdest nicht kommen, Mattie! Was ist denn passiert?« fragte sie. »Weaver ist bereits bei der zweiten Aufgabe.«
    Ich erklärte alles, setzte mich und begann mit meinen Aufgaben. Jede dauerte zwei Stunden lang. Gestern hatten wir zwei gemacht, und heute standen drei an. Als wir fertig waren, war ich ziemlich zuversichtlich, daß ich bestanden hatte. Allerdings handelte es sich um die Fächer, in denen ich am besten war – Aufsatz, Literatur und Geschichte. Die gestrigen – Mathematik und Physik – waren die schwierigen gewesen. Auf dem Heimweg sagte mir Weaver, er glaube, daß er in Mathematik und Geschichte recht gut und in Literatur, Physik und Geschichte ganz passabel gewesen sei, sich aber wegen des Aufsatzes Sorgen mache. Unsere Noten würden wir allerdings erst in einer Woche erfahren. Im Gehen fragte ich mich erneut, warum ich mir überhaupt die ganze Mühe machte, denn mir war immer noch keine Möglichkeit eingefallen, wie ich nach New York kommen konnte.
    Als ich schließlich nach Hause kam, war es fast sechs. Meine Prüfungen und ihre anschließende Besprechung mit Weaver hatten mich so sehr in Anspruch genommen, daß ich meinen Onkel vollkommen vergessen hatte. Bis ich die Essensgerüche wahrnahm, die Musik einer Mundharmonika und Gelächter hörte. Und helles Licht in der Küche sah. Weder roch es, noch klang es, noch sah es überhaupt wie mein Zuhause aus. Ganz und gar nicht.
    Â»Ja, da Teufel!« rief mein Onkel, als ich zur Tür hereinkam. Er war sauber, sein Haar war kürzer und sein Bart gestutzt. Er trug ein frisches Hemd, Hosen und die Schürze meiner Mutter. »Wo bist du denn gewesen? Das Abendessen is’ schon zwei Wochen fertig!«
    Â»Tut mir leid, Onkel Fifty. Ich hatte eine Menge Prüfungen.«
    Â»Hast du alle bestanden?«
    Â»Ich weiß nicht. Ich hoffe. Ich glaub schon.«
    Â»Gut. Dann trinken wir auf disch .« Er goß mir ein wenig Whiskey ein, reichte mir das Glas und hob das seine. Mein Vater saß mit einem Glas am Feuer. Ich sah ihn unsicher an, aber er nickte mir zu. »Auf Mademoiselle Gauthier … die erste von allen Gauthiers, die ein Diplom bekommen hat!« sagte mein Onkel und leerte sein Glas in einem Zug. Was mein Pa ebenfalls tat. Ich nahm einen kleinen Schluck und hustete, bis ich keine Luft mehr kriegte. Es brannte wie Feuer. Mein Pa nannte das die Ferien des armen Mannes. Ich hatte nie Ferien gehabt, aber wenn sie sich so anfühlen, bleib ich lieber zu Hause. Meine Schwestern lachten und ließen mich hochleben. Beth spielte auf Onkel Fiftys Mundharmonika, Onkel Fifty stieß Freudenschreie aus, und ich spürte, wie mir von dem Whiskey und vor Stolz die Wangen glühten.
    Â»Los, Mattie, mach schon. Wir kommen um vor Hunger!« sagte Beth. Erst jetzt bemerkte ich die Unordnung – die Töpfe und Pfannen auf dem Herd. die Spüle voller Schüsseln und Teller, das Mehl, das über den ganzen Boden verstreut war, und Barney auf seinem Schlafplatz, der an einem großen, fettigen Knochen nagte.
    Onkel Fifty hatte ein Festmahl für uns gekocht – ein richtiges Holzfällerabendessen. Er ließ uns alle am Tisch Platz nehmen, dann holte er nacheinander die Gerichte aus dem Wärmeofen. Wir trauten unseren Augen nicht. Es gab gebratenes Schweinefleisch in Milchsoße mit Krustenstücken darüber, Kartoffelbrei mit Zwiebeln, gebackene Bohnen mit Räucherspeck. Ahornsirup und Senf, warme Brötchen und einen riesigen Stapel Pfannkuchen mit Butter und Ahornzucker. Gemüse gab es nicht, weil Holzfäller das nicht besonders mögen.
    Â»Onkel Fifty, ich wußte gar nicht, daß du kochen kannst«, sagte Abby.
    Â»Das hab ich letzte Winter gelernt. Die Koch in Saint Regis is’ plötzlich tot umgefallen. Schlechte Herz. Und alle Holzfäller ham reihum kochen müssen. Da hab isch es gelernt.«
    Â»Du hast es gut

Weitere Kostenlose Bücher