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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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tat, als hätte er vergessen, für das jeweils nächste Kind etwas zu kaufen. Man mußte Höllenqualen ausstehen, bis man endlich an die Reihe kam, und dieselben Qualen, wenn es endlich soweit war. Wir bekamen nicht oft Geschenke und waren die ganze Aufregung und Erwartungsfreude nicht gewöhnt. Beth bekam eine eigene Mundharmonika mit einem Lehrbuch dazu und freute sich so sehr, daß sie in Tränen ausbrach. Für Lou gab es ein geschnitztes Holzkästchen mit einem Dutzend handgemachter Fliegenköder zum Fischen darin. Abby bekam ein vergoldetes Medaillon, das sie vor Freude erröten ließ. Und dann kam ich an die Reihe.
    Â»Oh nein! Für Mathilde hab isch es vergessen!« rief mein Onkel aus und sah mich an. Dann griff er in den Beutel. »Nein, nein, warte! Isch hab was …« Er zog eine schmutzige Wollsocke heraus, worauf alle lachten. »Oder da …« Heraus kamen seine roten langen Unterhosen. »Oder vielleischt das …«
    Er legte mir ein schmales Elfenbeinetui in die Hand. und als ich es öffnete, blieb mir die Luft weg. Es war ein Füller. Ein richtiger, echter Füller mit einer metallenen Feder und einem versilberten Halter mit Kappe. Glänzend wie eine Elritze lag er in seinem Bett aus schwarzem Filz. Nie in meinem Leben hatte ich einen Füller besessen – nur Bleistifte –, und ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlte mit dicker Tinte anstatt mit schmierigem Blei zu schreiben. Ich spürte, wie mir die Tränen kamen, als ich den Füller ansah, und ich mußte sie wegblinzeln, bevor ich meinem Onkel danken konnte.
    Pa war als nächster an der Reihe – er bekam ein neues Wollhemd –, dann zog Onkel Fifty ein furchterregendes Jagdmesser und eine hübsche, mit Perlen bestickte Tasche heraus. »Für Lawton. Und eure Mama«, sagte er. »Vielleischt gebt ihr ihm das Messer, wenn er heimkommt, ja?«
    Â»Aber Onkel Fifty, er kommt nicht …«, begann Beth. Ein Blick von Abby brachte sie zum Schweigen.
    Â»Und die Tasche könnt ihr Mädschen vielleischt abwechselnd benutzen.«
    Wir alle nickten, aber niemand nahm die Tasche. und keiner berührte das Messer. Wir dankten unserem Onkel erneut, umarmten und küßten ihn, und dann war es wirklich Zeit fürs Bett. Ich sammelte all das braune Packpapier ein, glättete es für weitere Benutzung, und meine Schwestern gingen nacheinander auf den Außenabort.
    Als ich wartete, bis ich dran war, bemerkte ich. daß das Feuer im Kanonenofen heruntergebrannt war. und holte Holz. Auf dem Rückweg, gerade als ich die Wohnzimmertür öffnen wollte, hörte ich meinen Onkel sagen: »Warum bleibst du hier und ziehst die ganze Tag an Kuheutern, Michel? Was is’ denn das für ein Leben für einen Mann, der immer am Fluß gearbeitet hat? Warum kommst du nischt zurück und arbeitest wieder als Flößer?«
    Pa lachte. »Und überlaß vier Mädchen sich selbst. Der viele Whiskey hat dir wohl das Hirn vernebelt.«
    Â»Deine Ellen, sie hat disch vom Fluß weggeholt. Meinst du, das weiß isch nischt. Aber sie ist jetzt fort. und isch find, der Fluß is’ besser für disch. Gefällt dir die Bauernarbeit?«
    Â»Ja.«
    Ich hörte meinen Onkel schnauben. »Und wer erzählt jetzt Lügen, ha?«
    Vor etwa zehn Jahren hatten mein Vater und meine Mutter einen schrecklichen Streit gehabt. Damals wohnten wir in Big Moose Station. Pa war gerade von einer Frühjahrsverflößung zurückgekommen und hatte einen gewissen Ed LaFontaine, einen Kollegen, mitgebracht. Nach dem Abendessen begannen sie zu trinken, Mr. LaFountaine erzählte Geschichten. darunter eine, wie mein Pa, der von einem Boot aus hantierte, mitsamt seiner Mannschaft beinahe unter ineinander verkeilte Stämme geraten wäre, als sie sich plötzlich auflösten.
    Mama geriet außer sich, als sie das hörte. Bevor Pa in diesem Jahr in die Wälder ging, nahm sie ihm das Versprechen ab, nicht an der Auflösung der angestauten Stämme zu arbeiten, sondern am Ufer zu bleiben. Es sei zu gefährlich, sagte sie. Ständig kämen Männer dabei um. Oft lösten sich diese Staus ohne Vorwarnung auf, und wenn der Ruderer seine Mannschaft nicht rechtzeitig ins Boot kriegte und wegruderte. wurde das Boot unter die Stämme gezogen. Pa entschuldigte sich bei ihr. Er sagte, er habe es nur wegen des Geldes getan. Die

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