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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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»schwierig« sei, obwohl man bloß die Nase voll hat von den Schmerzen in den Brüsten, den Flecken in den Unterhosen und überhaupt von der Tatsache, daß man kein unbeschwert offenes Leben führen, herumstromern. ausspucken und gegen Bäume pinkeln kann wie ein Junge.
    Diese fünfzehn Cent waren im Moment mein einziges Geld, aber ich hatte das Gefühl, ich könne es mir leisten, damit großzügig umzugehen. Onkel Fifty war heute morgen nach Old Forge gefahren, wo er über Nacht bleiben und dann mit dem Morgenzug zurückkommen wollte. Morgen mittag hätte ich meine dreißig Dollar. Er war erst einen halben Tag fort, aber wir vermißten ihn jetzt schon. Es war herrlich gewesen. ihn die ganze Woche bei uns zu haben. Mit Pa entfernte er Baumstümpfe und Felsbrocken aus dem Boden, und uns half er beim Melken. Am Abend allerdings, nicht am Morgen. Morgens war er gewöhnlich zu nichts zu gebrauchen, weil ihm der Kopf weh tat. Aber im Lauf des Tages wurde er zunehmend munterer, und abends bereitete er ausgefallene Desserts für uns zu –
tarte au sucre
etwa, das ist ein Auflauf mit Ahornzucker, oder frittierte Apfelringe mit Zimt oder in Ahornsirup gedünstete Rosinenknödel. Nach dem Essen ließ er sich mit seiner Whiskeyflasche nieder, aus der er sich ein Glas nach dem anderen eingoß. Glänzend floß die Flüssigkeit aus der Flasche, und sobald mein Onkel sie intus hatte, ließ sie auch ihn erstrahlen. Er lachte laut, spielte auf seiner Mundharmonika und erzählte uns jeden Abend Geschichten, als wäre Scheherezade in unserem Wohnzimmer zu neuem Leben erwacht. Wir bekamen einfach nicht genug von ihm. Ich sah zu, wie er Beth durch die Küche jagte, während er das Knurren eines bösen Wolfs nachahmte, oder mit eingeknickten Knien unter der Last eines imaginären Bocks vorwärts und rückwärts taumelte, und ich konnte mir kaum vorstellen, daß er mit meinem stillen, mißmutigen Vater verwandt sein sollte.
    Â»Ich denke, ich nehm auch noch ein paar Kokosdrops, Mattie«, sagte Beth, die immer noch überlegte. »Oder vielleicht ein paar King-Leo-Stäbchen. Oder Necco’s.«
    Â»Na schön, aber sieh zu, daß du nicht den ganzen Tag brauchst«, erwiderte ich.
    Ich sah, daß der Pritschenwagen der Loomis’ am Dock anhielt. Royal saß auf dem Bock. Ich fragte mich, wie er es schaffte, so gut auszusehen, egal, was er tat – ob er nun pflügte, spazierenging oder kutschierte. Schmutzig und verschwitzt, in abgetragenen Hosen und einem ausgefransten Baumwollhemd sah er besser aus als die meisten Männer, nachdem sie sich gebadet. rasiert und einen Anzug angezogen hatten. Ich dachte an den Kuß, den er mir gegeben hatte, und allein bei dem Gedanken schwindelte mir. Genauso wie all die albernen, flatterhaften Mädchen in den Geschichten in
Petersons Magazine.
    Seine Mutter war bei ihm. Sie sahen mich nicht. denn Beth und ich waren auf der anderen Seite des Boots. Mrs. Loomis stieg ab, und er reichte ihr einen Korb Eier und einen großen Buttertopf hinunter. Sie kam an Bord und gab beides Mr. Eckler. Er gab ihr dafür einen Dollarschein. Sie dankte ihm und kehrte aufs Dock zurück.
    Â»Also gut, ich bin fertig«, sagte Beth. Sie hatte ihre Süßigkeiten in eine kleine braune Tüte gesteckt.
    Â»Dann geh und bezahl«, antwortete ich und gab ihr mein Geld.
    Sie trottete zur hinteren Seite des Boots und reichte Charlie Eckler die Tüte. »Ich geh nächste Woche in den Zirkus. In Boonville«, hörte ich sie zu ihm sagen.
    Â»Wirklich, Schätzchen?«
    Â»Ja, Sir. Mein Onkel hat versprochen, mich mitzunehmen. Er ist heute früh nach Old Forge gefahren. aber er kommt morgen zurück, und dann geht er mit mir hin. Mit mir und Lou, mit uns beiden.«
    Â»Das wird euch bestimmt gefallen, da bin ich mir sicher. Das macht zehn Cent.«
    Mr. Eckler fragte, ob sie sich den Mann mit den zwei Köpfen und den Schlangenjungen ansehen wolle. Sie erwiderte, sie werde sich alles ansehen, was es zu sehen gebe, denn ihr Onkel Fifty habe gesagt, das könne sie. Ich hörte die beiden kaum, weil ich Royal beobachtete. Er unterhielt sich mit John Denio, einem Fuhrmann vom Glenmore. Sie nickten und lachten. Sein Lächeln war so warm wie frische Brötchen an einem Wintermorgen. Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden. Hatte jemand, der so gut aussah, mich wirklich geküßt? Oder hatte

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