Das Licht des Nordens
Morgens und abends wurde die Milch zum Abrahmen in breite, tiefe GefäÃe gefüllt. Wenn sie lange genug stehenblieb, setzte sich die Sahne ab und stieg an die Oberfläche. Dann wurde sie abgeschöpft. Die zurückgebliebene Milch wurde zur Auslieferung in groÃe Henkelkannen gefüllt. Einen Teil der Sahne verkauften wir, der Rest wurde zu Butter geschlagen. Die
Buttermilch â das ist das, was zurückbleibt, wenn die Butter geschlagen ist â verfütterten wir an unsere Schweine und Hühner. Nichts wurde je vergeudet.
»Mattie?«
Ich drehte den Kopf. »Beth, stell dich nie direkt hinter eine Kuh. Das solltest du doch wissen.«
»Daisy würde nicht nach mir ausschlagen. Das würde sie nie tun.«
»Aber Pa wird es tun, wenn er dich so nah am Hinterlauf einer Kuh erwischt. Jetzt tritt schon zurück.«
»Aber Mattie â¦Â«
»Was ist denn, Beth?«
»Warum ist Onkel Fifty noch nicht zurück? Er wollte doch bis heute Mittag zurück sein, und jetzt ist es schon nach fünf. Er hat mir versprochen, daà er mich in den Zirkus in Boonville mitnimmt.«
»Er kommt schon noch. Wahrscheinlich hat er sich mit jemandem verplaudert und einen späteren Zug genommen. Du weiÃt doch, wie er ist. Ich wette, er ist einem alten Freund über den Weg gelaufen, das ist alles. Sicher kommt er bald zurück.«
»Bist du sicher, Matt?«
»Ich bin mir sicher«, antwortete ich, aber das stimmte nicht. Ich wollte es nicht zugeben, nicht einmal vor mir selbst, aber ich war genauso besorgt wie Beth. Unser Onkel hätte schon vor Stunden heimkommen sollen.
»Hallooo!« rief eine Männerstimme von der Stalltür aus.
»Da ist er, Beth! Siehst du? Ich habâs dir doch gesagt!«
»Es ist nicht Onkel Fifty, Matt, sondern Mr. Eckler«, antwortete sie und lief hinüber, um ihn zu begrüÃen.
»Grüà dich, mein Mädchen! Ist dein Pa hier?«
»Ich bin hier, Charlie«, rief Pa. »Du bist ziemlich spät dran, was?«
»Stimmt schon. Aber neuerdings ist so viel los. daà ich nicht vor sechs oder sieben Uhr abends nach Old Forge zurückkomme. Ich hab dir den Speck mitgebracht, wie wirâs ausgemacht haben. Ein besonders schön gewachsenes Stück. Und ich wollte dich fragen. ob ich morgen statt vier fünf Kannen von dir kriegen kann und ob du zusätzlich Butter liefern kannst?«
»Die Milch hab ich. Von den Kühen gibt jede acht Liter am Tag. Ich hab genug. Die Butter sollt ich auch liefern können.«
»Freut mich zu hören. Also, ich muà wieder los. aber sag mal ⦠ich hab deinen Bruder heut morgen gesehen.«
»Was hat er gemacht? Den Bummelzug nach Haus genommen?«
»Nein, nicht ganz. Er saà eher im Schnellzug, wenn du mich fragst. In Richtung Utica.«
»Schwer geladen?«
»Ja.«
Ich spürte, wie mir der Atem stockte. Ich lehnte die Stirn an Daisys Bauch und drückte die Augen zu.
Mein Vater spuckte einen Mundvoll Tabaksaft aus. »Wette, daà erâs nicht mal bis Utica schafft. Wetten. daà er nicht über Remsen rauskommt«, sagte er.
»Pa?« fragte Beth mit zitternder Stimme.
»Gleich, Beth.«
»Na gut, Michael. Bis morgen dann.«
»Nacht, Charlie.«
»Pa!«
»Was ist, Beth?«
»Was heiÃt,
schwer geladen?
Wo ist Onkel Fifty? Er hat gesagt, daà er mich in den Zirkus mitnimmt, Pa. Kommt er denn nicht zurück? Er hatâs mir doch versprochen, Pa.«
»Du darfst nicht alles glauben, was dein Onkel sagt.«
»Aber er hat gesagt, daà er mich mitnimmt!«
»Beth, er wirdâs nicht tun, und damit hat sichâs, also halt den Mund.«
»Aber er hatâs versprochen, Pa!« sagte sie schluchzend. »Ich hasse ihn!«
Ich war sicher, daà Beth sich dafür eine Ohrfeige einfangen würde, aber Pa sagte bloÃ: »Nicht mehr. als er sich in ein paar Tagen selbst dafür hassen wird.« Dann befahl er ihr, mit dem Gejammere aufzuhören und den Speck zu Abby hinüberzubringen.
Zusammengesunken saà ich auf dem Melkschemel und wuÃte, daà sich meine letzte Möglichkeit, ans Barnard zu kommen, zerschlagen hatte, weil das Geld in die Kasse irgendeines Barmanns wandern würde. Mein Onkel war auf Sauftour â drei, vier oder fünf Tage lang. Oder solange man eben brauchte, um hundert Dollar auf den Kopf zu hauen. Das war eine schmerzliche und
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