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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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die Spaziergänge und Ausfahrten danach. Auch dein Versprechen nicht, mir einen Ring zu kaufen. Du wirst mich vergessen, ich werd von Minnie zu Fuß heimgehen müssen und dich unterwegs mit Martha Miller auf dem Wagen sehen, aber du wirst durch mich hindurchsehen, und dann werd ich aufwachen und feststellen, daß alles bloß ein Traum gewesen ist.
Bitte hol mich wieder ab,
sagte ich leise, als er abfuhr.
Bitte nimm mich im Wagen mit. Weil es mir gefällt, wie alle glotzen, wenn wir vorbeifahren. Und ich sitz gern neben dir auf dem Wagen und spür dein Bein an meinem. Und es macht mir auch gar nichts aus, mir all die Vorteile von gekreuztem Mais anzuhören, weil ich möchte, daß du mich berührst und mich küßt, obwohl ich reizlos und bücherversessen bin. Nein, gerade weil ich das bin.
    Der Wagen verschwand hinter der Biegung, ich drehte mich um und ging zu Minnies Haus hinauf. Im Gehen winkte ich den angeheuerten Helfern zu. Sie bauten ein Gatter aus den Bäumen, die sie gefällt hatten. um Jims Land einzuzäunen. Ganz in der Nähe sah ich Thistle, eine der Kühe, grasen. Sie war dick und kurz davor zu kalben.
Gravid
hieß mein Wort des Tages. was schwanger sein bedeutet. Als ich es diesen Morgen gelesen hatte, fand ich, daß es ein sehr merkwürdiges Wort für schwanger war. Bis ich weiterlas und feststellte, daß es gleichzeitig auch beladen oder schwer tragend heißt. Beim Blick auf Thistle mit ihrem riesigen Bauch und ihren müden Augen erschien es mir sehr treffend.
    Ich roch an den Blumen, die ich für Minnie gepflückt hatte, und hoffte, sie würden ihr gefallen. Ich hatte sie schon seit Wochen nicht mehr gesehen und mußte ihr viel erzählen. Das letzte Mal, als ich sie besuchte, hatte ich gerade den Brief vom College erhalten, aber keine Möglichkeit gehabt, ihn ihr zu zeigen, weil sie mit ihren Zwillingen in Wehen lag. Danach hatte ich mit der Farm und Miss Wilcox’ Bibliothek viel zu tun, dann war ich ins Glenmore gegangen, und es schien Ewigkeiten her zu sein, daß ich mich wirklich mit ihr unterhalten hatte. Noch immer wollte ich ihr von dem Brief erzählen, auch wenn ich nicht fortgehen würde. Auch von Royal wollte ich ihr erzählen und von dem Ring. den er mir schenken wollte. Vielleicht wüßte sie ja einen Rat, wie ich gleichzeitig Royal heiraten und dennoch Schriftstellerin werden konnte, zwei Dinge auf einmal – wie diese schicken Mäntel im Sears und Roebuck-Katalog, die sich durch bloßes Umdrehen in ein vollkommen neues Kleidungsstück verwandeln ließen.
    Als ich zu ihrer Veranda kam, wurde die Vordertür aufgerissen, Jim grüßte mich mürrisch, stopfte sich den Rest eines Sandwiches in den Mund und trottete die Stufen hinunter, um sich den Arbeitern anzuschließen.
    Â»Minnie?« rief ich und trat ein. Ein scheußlicher Gestank nach abgestandenem Essen und schmutzigen Windeln schlug mir entgegen.
    Â»Matt, bist du das?« fragte eine matte Stimme. Minnie saß auf dem Bett und stillte ihre Zwillinge. Sie wirkte so mager und ausgezehrt, daß ich sie kaum erkannte. Ihr blondes Haar war fettig und ihr Kleid voller Flecken. Die Babys saugten hungrig und gaben gierige, schmatzende Geräusche von sich. Ihr Blick schweifte schnell durch den Raum. Sie sah besorgt und verlegen aus.
    Â»Ja, ich bin’s. Die hab ich dir mitgebracht«, sagte ich und streckte ihr die Blumen entgegen.
    Â»Die sind hübsch, Mattie. Danke. Kannst du sie irgendwo reinstellen?«
    Ich sah mich nach einem Glas oder Krug um und bemerkte erst jetzt, wie schmutzig es überall war. Von Speiseresten verklebte Teller und Tassen türmten sich auf dem Tisch und den Arbeitsflächen, im Abwaschbecken lag Besteck. Auf dem Herd standen schmutzige Töpfe. Der Boden sah aus, als wäre seit Ewigkeiten nicht mehr gewischt worden.
    Â»Tut mir leid, wie’s hier aussieht«, sagte Minnie. Jim hat die ganze Woche vier Leute zur Aushilfe hier. Kaum daß ich ein Essen gekocht hab, ist’s schon wieder Zeit für’s nächste. Und die Babys sind auch ständig hungrig. Hier, nimm sie einen Moment, ja? Ich mach uns eine Tasse Tee.«
    Sie reichte mir eines der Babys, das sich wand, als sie es von der prallen, blau geäderten Brust nahm. Wo das Kind gesaugt hatte, war ihre Haut rötlich verfärbt. Winzige Blutstropfen schienen durch einen Riß zu sickern. Sie bemerkte, daß ich sie

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