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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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nein, er mußte seine Klappe aufreißen.«
    Â»Was ist passiert?« fragte Mr. Sperry.
    John Denio gab die Antwort. Wir alle drei – die Köchin, Mr. Denio und ich – wußten genau, daß wir Weaver nichts sagen lassen durften.
    Â»Er wurde angegriffen«, sagte John. »Vor dem Bahnhof. Der Zug hatte Verspätung. Ich ging zum Stationsvorsteher und ließ Weaver im Wagen zurück. Drei Männer kamen aus dem Summit-Hotel. Trapper. Sie waren betrunken, pöbelten ihn an, und Weaver wehrte sich. Einer von ihnen riß ihn vom Sitz, und dann schlugen sie ihn. Ich hörte den Lärm, rannte hinaus und machte der Sache ein Ende.«
    Â»Drei gegen einen, Weaver? Mein Gott, warum hast du denn deinen Mund nicht gehalten?«
    Â»Sie haben mich Nigger genannt.«
    Mr. Sperry hob Weavers Kinn und verzog das Gesicht beim Anblick seiner Verletzungen. Ein Auge war bereits blau angelaufen, die Nase vermutlich gebrochen und eine Lippe so dick und geschwollen wie eine Nacktschnecke. »Das ist doch bloß ein Wort. Junge, mich hat man schon schlimmere Dinge genannt«, sagte er.
    Â»Ich bitte um Verzeihung, Mr. Sperry, aber das stimmt nicht«, erwiderte Weaver. »Ich geh morgen zum Friedensrichter«, fügte er hinzu. »Ich sag ihm, was passiert ist und mach eine Anzeige.«
    Mr. Sperry seufzte. »Du kannst es wohl einfach nicht lassen, Staub aufzuwirbeln? Von morgen an bleibst du in der Küche. Du kannst Geschirr abwaschen, Böden wischen und alles tun, was die Köchin dir anschafft, bis dein Gesicht geheilt ist.«
    Â»Aber warum?« fragte Weaver aufgebracht, weil er in der Küche keine Trinkgelder einnehmen würde.
    Â»Weil du aussiehst, als wärst du in den Fleischwolf geraten! Mit so einem Gesicht kann ich dich doch nicht Gäste bedienen lassen.«
    Â»Aber das ist nicht gerecht, Sir. Man sollte mich nicht beschimpfen. Ich sollte nicht geschlagen werden und auch nicht in der Küche bleiben müssen.«
    Â»Wie alt bist du, Weaver? Siebzehn oder sieben. Weißt du nicht, daß das, was sein sollte, und das, was ist, zwei verschiedene Dinge sind? Du hättest tot sein können. Zum Glück bist du’s nicht. Denk dran, bevor du dich das nächste Mal auf drei ausgewachsene Männer einläßt.« Dann stürmte er wieder hinaus. Die Köchin lief ihm nach, um sich nach einer Lieferung zu erkundigen, John ging zu seinen Pferden hinaus, und wir beide blieben allein zurück.
    Limikol
hieß mein Wort des Tages, womit man ein Wesen bezeichnet, das im Schlamm lebt. Ich fand, daß es sehr gut auf die Männer paßte, die Weaver geschlagen hatten, und das sagte ich ihm. Aber Weaver hatte andere Worte, um sie zu beschreiben, und Gott sei Dank bekam die Köchin davon nichts mit.
    Â»Sei still, Weaver, laß gut sein«, sagte ich und wickelte ein Stück Eis in ein Handtuch. »Ein paar Tage in der Küche bringen dich nicht um. Immer noch besser, als deinen Job zu verlieren. Hier, drück das auf deine Lippe.«
    Â»Hab wohl kaum eine andere Wahl, oder?« brummte er. Er drückte sich das Eis an die Lippe. zuckte zusammen und fügte dann hinzu: »Noch drei Monate, Matt. Nur noch drei Monate, und ich bin hier weg. Sobald ich die Uni hinter mir hab, sobald ich Anwalt bin, reicht mir keiner mehr einen Koffer. Oder nennt mich Junge, Nigger oder Sam. Oder schlägt mich. Und falls doch, sorg ich dafür, daß er ins Gefängnis wandert.«
    Â»Das glaub ich sofort.«
    Â»Ich werd eine neue Stelle finden, eine bessere als die hier, das steht fest. Wir beide werden das, Matt, nicht wahr?« sagte er und suchte meinen Blick.
    Â»Ja, ganz bestimmt«, antwortete ich und machte mich mit dem Hamamelisfläschchen zu schaffen, weil ich seinen Blick nicht ertrug.
    Ich hatte bereits einen neuen Ort für mich gefunden, auch wenn ich das nicht beabsichtigt hatte. Er war nur für mich allein, und das konnte ich weder Weaver noch Miss Wilcox sagen. Dieser Ort war in Royal Loomis’ Armen, und dort gefiel es mir. Weaver würde das nie verstehen. Manchmal verstand ich es ja selbst kaum.

I
ch höre den Ruf eines Eistauchers vom See.
Die Touristen behaupten, es sei ein wundervoller Laut. Ich finde, es ist der traurigste Klang, den ich kenne. Ich lese noch immer, suche noch immer nach einer anderen Antwort. Einem glücklicheren Ende. Aber ich weiß bereits, daß ich es nicht finden werde.
    South Otselic
28.

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