Das Licht des Orakels
verschränkte die Arme vor der Brust. »Wird sie auch meine Gedanken kennen?«
»Nein. Du hast kraftvolle innere Barrieren. Abgesehen davon wird sie nicht dazu ausgebildet, selbst Verbindungen aufzubauen. Sie wird sich auf den Propheten verlassen müssen, der mit ihr ein Paar bildet.«
»Ihr versprecht das?«
»Ich verspreche es.«
Frühling
14
Dawn und Alyce schwangen einen großen Korb voller Lebensmittel zwischen sich hin und her, die sie der Tempelküche für ein Picknick an ihrem freien Tag abgeschwatzt hatten, um das wärmere Wetter zu feiern. Direkt vor ihnen glitzerten die Sonnenstrahlen auf dem See und ein paar frühe Schmetterlinge taumelten durch die Luft. Marvin, Jacinta und Calden saßen auf einer Decke, die sie nicht weit vom sandigen Ufer des Sees ausgebreitet hatten. Gegen den Stamm der Lärche gelehnt, sah Kiran zu, wie Brock, Willow und Bryn Steine über das Wasser hüpfen ließen.
Als die beiden Mädchen mit dem Korb ankamen,
stand Marvin auf. »Futter!«, rief er den anderen zu. Er lächelte Alyce an. »Und schöne Mädchen!«, fügte er hinzu, nahm den Korb und stellte ihn auf die Decke.
Kiran nahm einen Krug, der neben ihm stand, goss zwei Gläser voll und reichte sie Alyce und Dawn.
»Mmm«, meinte Dawn grinsend, »der Wein schmeckt ja beinahe gut.«
Brock kicherte. Er war bei seiner Ankunft den Weinbergen des Tempels zugeordnet worden. Jetzt schlug er sich mit der Hand vor die Brust. »Ja, meine Dame, Ihr trinkt den Nektar vergorener Trauben, die gekonnt von stinkefüßigen Helfern gestampft wurden.« Er erhob sein Glas. »Auf den Nektar!« Die anderen lachten über seinen Trinkspruch und stießen mit ihm an.
Auch Dawn setzte sich mit angezogenen Beinen auf die Decke. »Hat noch jemand Hunger, oder bin ich die Einzige, die zu ewigem Wachstum verdammt ist?« Sie nickte Kiran zu. »Du bist meine einzige Hoffnung auf Gleichheit. Willst du was zu essen?«
Kiran richtete sich auf. »Ich möchte dich beim Essen doch nicht alleine lassen.«
Brock tauchte in den Korb. »Ha! Zermatschtes Käsegebäck und zermatschte Marmeladentörtchen.«
Dawn stieß ihn zur Seite. »Verstehst du nicht, was ich meine, wenn ich sage, dass ich hungrig bin?«
Brock hob die Arme. »Du und Kiran. Vergesst nicht, dass auch die von uns etwas essen müssen, die nicht von Natur aus Riesen sind.«
»Es ist überhaupt nicht natürlich, ein Riese zu sein«, sagte Dawn und verdrehte die Augen. »Aber es ist völlig unnatürlich für einen von der Eule erwählten Jungen, dass er nie ernst ist.«
Brock strubbelte so lange durch seine schwarzen Locken, bis sie nach allen Seiten vom Kopf abstanden. »O
Königin der Zahlen, als ich Euch die Mathematikkrone vom Kopf subtrahiert habe, habt Ihr mir meinen mangelnden Ernst nicht vorgeworfen.«
Dawn schnaubte. Brock war so nett, dass sie Spaß an ihrer Rivalität im Unterricht hatte. »Nimm dich in Acht, du Prinz der Theoreme, oder die Krone wird dir wieder weggenommen.«
Als Kiran nach dem vierten Käsepastetchen langte, boxte Brock ihm gegen die Schulter. »Du bist ein Vielfraß, Stuko. Oder hat dir der Schwan die geheime Gabe der Rüpelhaftigkeit verliehen?«
Kiran zuckte mit den Schultern. »Die ist nicht so geheim.« Er hob sein Glas. »Auf die Rüpelhaftigkeit!«
Laut lachend stießen sie miteinander an.
»Seht mal«, sagte Bryn. »Wir bekommen Besuch.«
Eloise, Clea, Charis, Narda und einige andere Federn steuerten auf die Picknickgesellschaft zu. Brocks vergnügter Gesichtsausdruck verschwand sofort und Kiran
machte ein missmutiges Gesicht. Beide standen auf und stellten sich schützend vor ihre Freundinnen, als die Federn näher kamen.
Wenige Meter vor ihnen hielten Clea und Eloise an, die anderen Federn wie Hofdamen hinter sich. »Hallo, Kiran!«, sagte Clea, kam noch näher und zeichnete mit den Fingern einen Kreis auf seine Brust. »Wir machen ein Picknick. Kommst du mit?«
»Hab schon gegessen«, gab Kiran zur Antwort und sein Gesicht wurde noch finsterer.
Clea lächelte verführerisch. »Vielleicht willst du wissen, was wir außer Essen noch haben?« Mit der anderen Hand drückte sie seinen Arm. »Angenehme Gesellschaft.«
Kiran hob ihre eine Hand von seiner Brust und entfernte die andere von seinem Arm. »Wahrscheinlich kommt mein Hund gleich«, sagte er. »Und ich glaube nicht, dass er eure Gesellschaft mag.« Die Sommersprossen in seinem Gesicht wurden dunkler, als er in die Tasche griff und ein Knäuel blauer Schnur
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