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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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waren, hatte sie sich geschworen, nie wieder zu prophezeien. Es war zu gefährlich, nicht nur für sie, sondern auch für ihren Mann, weil er in der Nähe war. Sie glaubte, wenn sie nicht weissagte, ließe der Meisterpriester davon ab, sie zu verfolgen. Wenn sie nicht weissagte, würde ein einfacher ätherischer Schutzmantel reichen, denn dann hätte sie nicht mehr zu verbergen als ihre eigene Anwesenheit.
    Der Kardinal wohnte wieder in ihrer Nähe, er hatte sein Nest in einer riesigen Pinie gebaut, und Selid fütterte ihn. Aber sie verweigerte sich jeglicher Vision.
    Sie hatte gehofft, damit ein gewisses Maß an Frieden zu finden, doch das wollte ihr nicht gelingen. Tagsüber schienen Schatten sie zu verfolgen. Wenn sie sich umblickte, verschwanden sie, aber sobald sie wieder nach vorne sah, suchten sie sie wieder heim. Albträume störten ihren Schlaf, Albträume vom Meisterpriester, der sie mit
    dem Ring der Götter dicht vor ihrem Gesicht bedrängte, und von Bolivar, der einen funkelnden Dolch zückte.
    »Was ist?«, fragte Ginette mit großen Augen. »Stimmt was nicht?«
    Mit einem Ruck nahm Selid wieder ihre Umgebung
    wahr. Sie befand sich im Kleinen Glück, las und schrieb für die Armen. Sie rieb sich über die Stirn und verdunkelte absichtlich ihr drittes, ihr visionäres Auge. Dann nahm sie ihren Becher in die Hand. »Nein, deinem Sohn geht es richtig gut.« Sie nahm einen großen Schluck Tee, bevor sie weiterlas:
     
    … Wir haben einen Auftrag vom Leibarzt der Königin über Bettvorhänge und einen Auftrag für Lord Lavershams Fenster zur Straße hin. Mein Onkel schickt liebe Grüße. Sei guten Mutes.
    Dein treuer Sohn Gel.
     
    Selid blickte auf. »Soll ich eine Antwort schreiben?«
     
    Einige Tage später erwartete Renchald in seinem Allerheiligsten Kiran und Clea zu ihrer ersten paarweisen Prophezeiung. Es war nun richtig Frühling geworden und die beiden jungen Leute hatten lange genug getrennt voneinander gelernt. Beide hatten gezeigt, wie meisterhaft sie die Techniken beherrschten, die er ihnen beigebracht hatte. Nun war es an der Zeit, sie zusammenzubringen.
    Als Erste traf Clea ein. Sie verbeugte sich tief, wie es das Protokoll verlangte, wobei sie länger als normal verbeugt blieb. Kiran kam ein paar Minuten zu spät. Die Verbeugung bei seinem Eintritt war bestenfalls oberflächlich zu nennen. Er ließ sich in den Stuhl neben Clea fallen. Der Meisterpriester blickte die beiden an. Clea
    trug ein seidenes Gewand und hatte goldene Spangen in ihrem blonden Haar, Kiran hatte offenbar die schäbigste Kleidung an, die er hatte finden können, und war ungekämmt.
    Renchald goss Tee in die Weissagungstassen auf einem Tischchen neben sich und gab jedem der beiden eine. »Ihr werdet mit einer Prophezeiung von minderer Bedeutung beginnen. Die Blätter stammen von Lord Lindenhai aus dem Nordland. Frisch verheiratet bittet er um eine Prophezeiung bezüglich zukünftiger Kinder.«
    Clea trank ihren Tee mit Anmut, wogegen Kiran ihn hinuntergoss. Die zarte Tasse wirkte in seiner großen Faust übermäßig zerbrechlich.
    »Ich werde euch bei eurer Verbindung helfen«, sagte Renchald. »Seid ihr bereit?«
    Cleas eifriges »Ja« stand im deutlichen Kontrast zu Kirans verdrossenem Nicken.
     
    Nachdem Renchald Clea und Kiran aus der Prophezeiung zurückgeleitet hatte, ließ er den beiden Zeit, sich zu sammeln. Clea starrte Kiran an. Auf einmal war ihr Blick nicht verstellt, und es war, als würde der Vogel, der sie erwählt hatte, aus ihren Augen herausschauen. Es schien, als hätte sie Witterung aufgenommen und wüsste, dass diese Technik sie zu jeder Beute führen würde, nach der es sie gelüstete. Kiran saß zurückgelehnt da und atmete schwer, als bekäme er nicht genug Luft.
    Der Meisterpriester tauchte seine Feder ein und wandte sich an Clea, die Hand über einem frischen Blatt Pergament auf dem Tisch. »Erzähle mir deine Vision.«
    Mühsam wandte sie den Blick von Kiran. »Lord und Lady Lindenhai werden keine Kinder bekommen, Euer Ehren.«
    Renchalds Feder schwebte über dem Pergament. »Nie?«
    »Sie ist unfruchtbar. Ihr kann nicht geholfen werden.«
    Ihre Stimme war kalt und klar.
    Renchald hob die Brauen und sah in Kirans Richtung.
    Der junge Mann nickte müde.
    »Hast du sonst noch etwas gesehen?«, fragte der Meisterpriester Clea.
    »Ihr weißer Hengst wird lahm werden«, sagte sie. »Er hat einen schwarzen Fleck auf der linken Flanke.«
    Solche Einzelheiten waren bei Prophezeiungen unbezahlbar. Die

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