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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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Schreibarbeiten.«
    Ihre Wegbeschreibung war etwas ungenau, doch Bolivar fand das Anwesen des Schreiners schnell und ohne sich allzu oft zu verlaufen. Er schob den Riegel zurück und registrierte dabei, wie gut er geölt war. Durch den Hof ging er auf ein gemütliches Haus zu. Selids Schreiner, wer auch immer das war, musste ein guter Handwerker sein.
    Bolivar klopfte an die Haustür, erhielt aber keine Antwort. Mit einem kräftigen Schlag seines Schwertknaufs sprengte er das Schloss. Dicht gefolgt von seinen Männern betrat er das Haus und durchsuchte es zügig.
    »Ausgeflogen!«, verkündete er und trat einen Stuhl zur Seite.
    »Sollen wir uns verstecken und warten, bis sie wiederkommen?«, fragte Finian.
    Bolivar schüttelte den Kopf. Die Feuerstelle war blitzblank geputzt. »Wir sind zu spät gekommen«, sagte er.
     
    Über Bolivars Bericht war Renchald alles andere als erfreut. Er entließ den Soldaten, blieb alleine in seinem Allerheiligsten sitzen und dachte nach.
    Oh wie bitter vermisste er die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen.
    Als Meisterpriester war er der Erbe außergewöhnlicher Ausbildung, Fähigkeit und Macht: Ausbildung in
    den von alters her höchst geheim gehaltenen Geheimnissen, Fähigkeit darin, besonders wirksame Zeremonien durchzuführen, Macht, indem er wahrnahm, was anderen verborgen blieb.
    Doch nichts davon konnte ihn jung erhalten.
    Die Fähigkeit zu prophezeien nahm mit erschreckender Geschwindigkeit ab. Nicht einmal die einfachsten Ereignisse konnte er mehr voraussagen.
    Es war ihm gesagt worden, dass es so kommen würde: Wie bei Solz’ Reise durch den Tag schwand die Fähigkeit zu prophezeien, nahm mit zunehmendem Alter allmählich ab. Die Lehre des Tempels erklärte, dass er als Meisterpriester Weisheit höher einzuschätzen habe als die berauschende Fähigkeit zu prophezeien. Doch die Weisheit, über die Renchald verfügte, tröstete ihn nicht über seinen Verlust hinweg.
    Er wusste, dass er für die geheime Gabe des Geierfalken dankbarer sein sollte, eine Gabe, die ihm zeitlebens eine Vormachtstellung bescherte. Doch um diese Gabe auf andere anwenden zu können, mussten sie anwesend sein.
    Selid war weit weg, und er wusste nicht, wo sie sich befand.
    Renchald seufzte. So blind er auch für die Zukunft war, er würde die Suche nach seiner ehemaligen Schülerin nicht aufgeben.
    Clea hatte zwar durch Selids ätherischen Schutzmantel blicken können, doch nicht klar, sondern nur auf die gröbsten Umrisse ihres Lebens. Es wäre mehr als das erforderlich, die abtrünnige Prophetin aufzuspüren.
    Renchald wandte sich dem Wandbild des Falken zu.
    »Die größte Hoffnung, die mir bleibt«, sagte er laut zum Geist des Vogels, der ihn erwählt hatte, »ist es, Clea so
    auszubilden, dass sich ihre Kraft mit der eines männlichen Propheten für eine größere Klarheit der Vision verbindet.«
    Er starrte in das Kaminfeuer und ging im Geist die jungen Propheten durch. Wen sollte er mit Lord Erringtons Tochter verbinden? Es musste jemand mit außergewöhnlichen Fähigkeiten sein.
     
    Ein paar Tage nachdem der Unterricht wieder aufgenommen worden war, eilte Kiran von der Vorratsscheune, wo der Hafer lagerte, zurück zu den Ställen. Ein frostiger Wind blies ihm ins Gesicht. Als er Jack durch die Kälte auf sich zu tollen sah, musste er lächeln. Er setzte den schweren Sack ab und kraulte Jack hinter den Ohren.
    Weiter vorne sah er Bryn auf dem Weidezaun sitzen und Obsidian die Hand hinstrecken. Der beugte seinen wunderschönen Kopf und ließ sich von ihr die Nüstern streicheln.
    »Siehst du das, Jack?«, fragte Kiran leise.
    Bryn und das Pferd waren von einer Zone der Stille umgeben. Die Mähne des Hengstes lag glatt am Hals an und auch Bryns Haare rührten sich nicht.
    Überall auf der Weide beugte sich das welke Gras im Wind, doch am Zaun, auf dem sie saß, standen die Halme aufrecht.
    Eine ganze Weile blieb Kiran stehen und beobachtete.
    Er wartete darauf, dass der Wind, der überall sonst recht kräftig war, auch Bryn erreichte.
    Er tat es nicht.
    Kiran dachte zurück an ihr Gespräch am See einen Tag nach dem Sonnwendfest. Was hatte sie über den Wind gesagt? Ich höre sein Flüstern nicht mehr … Jetzt ist es nur noch still!
     
    Nur noch still.
    Während Kiran sie beobachtete, überlegte er, ob die Verfluchung Bryn auch irgendwie unsichtbar machte.
    Wieso sonst fiel die Veränderung einer so begabten Prophetin nicht allen auf?
    Als sie vom Zaun kletterte, näherte er sich ihr. Dabei

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