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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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ein. »Ich liebe den Geruch des Spätsommers«, sagte sie. »Wie aufbewahrter Sonnenschein.« Sie hob ihr Glas mit Apfelwein und nahm einen Schluck.
    Dawn reckte ihre schlaksigen Arme. »Immer so poetisch, Bryn. Für mich riecht es nach verwelktem Gras, und außerdem ist heute Tagundnachtgleiche und der Herbst hat angefangen.«
    Bryn lachte. Dawn stieß Alyce an, die auf dem Rücken lag und in den Himmel guckte. »Ist es nicht ein Jammer, hier im Tempelbezirk herumzuhängen, während die Helfer alleine nach Amarkand gehen können?«, fragte Dawn.
    »Wenn du so gerne auf dem Erntefest wärst, warum bist du dann nicht mit Jacinta und Willow gegangen?«, fragte Alyce.
    »Um dann von der Tempelwache gehütet zu werden
    wie die Schafe?« Dawn schnaubte. »Viel lieber bin ich hier mit euch. Ich wünschte, der Tempel würde zur Tagundnachtgleiche ein Fest veranstalten. Der Tag ist Vernelda geweiht!« Sie trank etwas Apfelwein. »Außerdem habe ich was zu feiern. Ich glaube, ich habe endlich aufgehört zu wachsen.«
    Alle gratulierten ihr. »Du bist die Königin der Großen«, sagte Alyce.
    »Wie tief müssen sich deine Untertanen verbeugen?«,
    fragte Bryn und beugte sich vor, um mit Dawn anzustoßen. »Wir beide haben einen äußerst heiligen Grund zu feiern. Stimmt’s?«
    »Kein Latrinenputzen mehr!«, jubelte Dawn. »Es sei denn, ich mach wieder den Mund auf, wenn die Sendrata dabei ist. Vernelda behüte!«
    »Oder ich stehe zur falschen Zeit auf«, meinte Bryn grinsend.
    »Ich sag es ja, der Tempel sollte zur Tagundnachtgleiche ein grandioses Fest feiern«, murmelte Dawn.
    Alyce zerkrümelte eine trockene Samenkapsel. »Wegen der Tagundnachtgleiche oder wegen der Gilgamelltruppe?« Sie ließ das feine Pulver von der Hand rieseln. »Ich mag gar nicht daran denken. Bald ist Winter.
    Keine warmen Tage mehr wie der heute.«
    »Aber du wirst doch schön gemütlich am warmen
    Backofen stehen«, sagte Dawn. Alyce war nun für immer, wie sie gehofft hatte, der Tempelbäckerei zugeteilt worden. »Du musst dann nicht mehr Ishaans Launen ertragen, wenn du dir den Kopf zerbrichst, warum Keldes am Firmament langes Leben bedeutet, aber Keldes am Horizont nichts als Düsternis bringt.«
    Alice kicherte zufrieden. »Mir ist der Gott des Todes egal. Sag mir, wann Marvin mich fragt, ob ich ihn heiraten will.«
    Dawn hob die Hände. »Du fragst nach Vernelda, der Göttin der Liebe«, sagte sie plötzlich bedrückt. »Die ist undurchschaubar. In meiner Sternkarte steht sie angeblich an erster Stelle, aber weder antwortet sie auf meine Gebete noch begünstigt sie mich.«
    »Vielleicht musst du dich erst verlieben, bevor sie dich begünstigen kann«, sagte Alyce.
    »Ich bin zu groß für die Liebe, sie kann mich nicht
    finden«, antwortete Dawn. Sie zupfte ihren schwarzen Zopf nach vorne und spielte mit dem Haarbüschel an seinem Ende.
    Mit einem weichen Pflanzenstängel kitzelte Alyce Dawn an der Nase. »Gibt es denn jemand, für den du schwärmst?«
    Bevor Dawn antworten konnte, hörten sie es rascheln.
    Sie erhob sie wie ein Aussichtsturm und beschattete mit der Hand die Augen. »Mist!«, sagte sie und ließ sich wieder auf den Boden sinken. »Clea und Eloise. Ich hätte nicht aufstehen sollen. Jetzt wissen sie bestimmt, wo wir sind.«
    »Was haben die denn hier zu suchen?«, beschwerte sich Alyce. »Ich dachte, sie wären nach Amarkand gegangen.«
    Bryn schaute hoch und da stand Clea eingerahmt von Unkraut. Ihre Haare waren mit Bändern umschlungen und das reich bestickte Gewand mit Seide in der Hüfte zusammengefasst. »Tut mir Leid, Clea, aber hier gibt es nichts Totes und Verrottendes, das dich in Versuchung führen könnte zu bleiben.« Als Bryn das sagte, überraschte sie sich selbst. Sie hatte die Gewohnheit angenommen, Clea zu meiden und sie nie anzusprechen. Aber was könnte sie mir denn noch mehr antun? Und warum sollte sie riskieren, meine Freundinnen zu verfluchen?
    Ich bin jetzt ein Nichts. Sowohl für den Tempel als auch für sie.
    Anmutig ließ sich Clea auf Bryns Umhang nieder.
    Eloise blieb stehen und grinste spöttisch.
    »Weißt du eigentlich«, fragte Clea und fixierte Bryn mit ihren blauen Augen, »dass Kiran sich heimlich mit mir trifft?« Sie zeigte dasselbe Lächeln wie in der Wüste, als sie ihre volle Wasserflasche an die Lippen hob, während Bryn nichts hatte, um ihren Durst zu lindern.
    »Was für ein Unsinn!«, sagte Dawn.
    Clea achtete gar nicht auf Dawn und blickte weiter Bryn an. »Er besitzt die

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