Das Licht ferner Tage
Mann?«
»Er hat Selbstmord begangen wegen der Medien-Invasion. Und alles nur, weil deine Freundin die WurmCam den schmierigsten Journalisten-Reptilien der Welt verraten hat. Sie ist verantwortlich…«
»Papa!«
»Ja, ja, ich weiß. Wir haben das schon hinreichend diskutiert.« Hiram erhob sich vom Stuhl, ging zum Fenster und massierte sich den Nacken. »Mein Gott, bin ich müde. Schau, Bobby, wenn du Lust hast, wieder zur Arbeit zu kommen… ich könnte etwas Hilfe nämlich verdammt gut gebrauchen.«
»Ich glaube nicht, dass ich jetzt schon in der Lage bin…«
»Ich stehe unter Beschuss, seit die WurmCam freigegeben wurde. Die ganzen zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen sind so angenehm wie ein Furunkel am Arsch…«
Bobby wusste, dass er Recht hatte. Ein ganzes Spektrum von Protestgruppen hatte feindselig auf die Existenz der WurmCam reagiert – von seriösen Gruppen wie des Private Rights Clearinghouse bis hin zu versuchten Angriffen auf die Firmenzentrale, das Wurmwerk und sogar auf Hirams Haus. Eine Menge Leute auf beiden Seiten des Gesetzes fühlten sich von der WurmCam, die die Wahrheit gnadenlos ans Licht brachte, auf den Schlips getreten. Und viele schienen jemanden zu brauchen, den sie für ihren Verdruss verantwortlich machen konnten – und wer wäre dazu besser geeignet gewesen als Hiram?
»Wir verlieren viele gute Leute, Bobby. Viele von ihnen haben nicht den Mut, bei mir zu bleiben, wo ich nun der Volksfeind Nummer Eins bin, der Mann, der die Privatsphäre zerstört hat. Aber ich will ihnen keinen Vorwurf machen; es ist schließlich nicht ihr Kampf.
Und nicht einmal diejenigen, die geblieben sind, können die Finger von den WurmCams lassen. Der Missbrauch ist enorm. Und du kannst dir sicher vorstellen, zu welchem Zweck: Sie spähen die Nachbarn aus, ihre Ehefrauen, die Arbeitskollegen. Wir hatten schon Auseinandersetzungen, Schlägereien und einen versuchten Schusswaffengebrauch, nachdem die Leute herausgefunden hatten, was ihre Freunde wirklich von ihnen halten und was sie hinter ihrem Rücken alles treiben… Wo man nun in die Vergangenheit zu sehen vermag, gibt es kein Entrinnen mehr. Es macht süchtig. Das ist aber nur ein Vorgeschmack darauf, was wir erleben werden, wenn die Vergangenheits-Betrachter- WurmCams der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht sind. Wir werden Millionen Einheiten absetzen, das ist mal klar. Aber im Moment bereitet mir das alles nur Probleme; ich habe unbefugte Benutzung verboten und die Rechner gesperrt…« Er schaute auf seinen Sohn. »Es gibt eine Menge zu tun. Und die Welt wird nicht warten, bis deine empfindsame Seele geheilt ist.«
»Ich war der Ansicht, das Geschäft läuft gut – obwohl das Monopol auf die WurmCam verloren ging.«
»Wir haben noch immer die Nase vorn.« Bobby stellte fest, dass Hirams Stimme kräftiger und die Sprechweise flüssiger wurde; er sprach zu dem unsichtbaren Publikum, von dem er annahm, dass es ihn auch jetzt beobachtete. »Wo die Existenz der WurmCam nun bekannt ist, gibt es eine Reihe neuer Anwendungen, die wir auf den Markt bringen werden. Videofone zum Beispiel: Ein Direktverbindungs-Wurmlochpaar zwischen Sender und Empfänger. Hier eröffnet sich ein kleiner, aber feiner Markt mit anschließender Massenfertigung. Das könnte sich natürlich auf die DataPipe- Technologie auswirken, obwohl auch in Zukunft Bedarf an Überwachungs- und Aufklärungstechnologie bestehen wird…, aber das ist nicht mein eigentliches Problem. Bobby, wir haben nächste Woche eine Jahreshauptversammlung. Ich muss mich meinen Aktionären stellen.«
»Sie werden dir nicht am Zeug flicken. Die Bilanzen sind fantastisch.«
»Das ist es auch nicht.« Misstrauisch ließ er den Blick durch den Raum schweifen. »Wie soll ich es nur ausdrücken? Vor der WurmCam war mein Geschäft streng geheim. Niemand vermochte mir in die Karten zu schauen – weder die Konkurrenten noch die Mitarbeiter, nicht einmal die Investoren und Aktionäre, wenn ich es nicht wollte. Und das eröffnete mir einen großen Spielraum für taktische Finessen aller Art…«
»Lüge?«
»Niemals«, erwiderte Hiram dezidiert. Was hätte er auch sonst sagen sollen, dachte Bobby. »Das ist eine Frage der Einstellung. Ich war in der Lage, meine Schwächen zu minimieren, meine Stärken zu betonen, die Konkurrenz mit einer neuen Strategie zu überraschen und was nicht alles. Jetzt haben die Spielregeln sich geändert. Nun gleicht das Spiel eher Schach, an dem ich mich als Pokerspieler
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