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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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paktiert und den Palast der Spiegel vernichtet zu haben. Er allein habe Zearis’ Tod zu verantworten; anschließend habe er versucht, Sarik die Schuld dafür zu geben.
    Zur Strafe wird er in Ketten gelegt und unter dem Berg Cator gefangen gesetzt, für eine Dauer von eintausend Jahren.

    Sarik kämpfte sich durch das Dickicht der Insel der Dämmerung. Mehrfach zwangen ihn die Dornenranken, eine andere Richtung einzuschlagen, und mehr als einmal konnte er beobachten, wie Ranken dicken Schlangen gleich krochen, um ihm den Weg zu versperren. Ohne das Irrlicht, das ihn leitete, wäre er in Ycilles Labyrinth verloren gewesen. Er sagte das dem Irrlicht, und es leuchtete darauf ein wenig heller.
    Ich tue nur, was ich an ihrer Stelle täte – bloß umgekehrt, dachte es, und Sarik musste kurz über die Logik seines leuchtenden Begleiters nachdenken.
    Glaubst du wirklich, dass du Ycille helfen kannst?, fragte er, denn es war die Idee des Irrlichts gewesen, nicht Sariks, Cenaldi Hoffnung zu machen.
    Vielleicht, vielleicht nicht. Wenn ihr Licht dem meinen ähnelt vielleicht …?
    Sie kamen an verdorrten Blumen vorbei, größer als er selbst, die eine Ahnung daran wachriefen, wie es hier einst gewesen sein musste. In der Alten Zeit sollte die Insel der Dämmerung ein Ort unbeschreiblicher Schönheit gewesen sein, ein Spiegel ihrer Herrin; und die Seelen, die hier zu neuem und seltsamem Leben erwachten, kannten nichts als den Duft und das Rauschen der Wiesen und den Flügelschlag der Gestalt gewordenen Träume Ycilles und lebten in einem Zustand ewiger Glückseligkeit.
    Heute aber waren von den Blumen nur noch groteske Stengel geblieben, und der einzige Flügelschlag kam von den schwarzen Käfern, die das letzte Leben aus dem Boden fraßen, und ein paar Staren, die sich auf den kahlen Bäumen hielten und sorgsam darauf achteten, den Dornenranken nicht zu nahe zu kommen.
    Sie erreichten eine kleine Lichtung nahe dem Herzen der Insel, die von beständigem Rascheln und Raunen erfüllt war. Über ihnen erstreckte sich der unwirkliche Himmel, der weder Tag noch Nacht war, und einige Pflanzen waren an diesem Ort noch lebendig, sodass Sarik jeden Moment damit rechnete, der Herrin der Dämmerung gewahr zu werden. Nichts aber hätte ihn auf den Anblick vorbereiten können, der sich ihm tatsächlich bot, und selbst das Irrlicht stieß einen klagenden Laut aus, der in Sariks Geist noch lange nachhallte.
    Auf der Lichtung wuchsen mehrere große Schoten. In ihnen regte sich etwas, und zahlreiche von ihnen waren bereits aufgeplatzt und hatten ihre Fracht auf den Boden gespuckt: weibliche Körper mit zart schimmernden Flügeln, nackt und in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung. Doch davon abgesehen glichen sie einander wie ein Ei dem anderen.
    Die meisten waren tot. Dornenranken waren über den bleichenHaufen gewuchert und hielten Arme und Beine gepackt, manche Körper hatten sie zerrissen. Manche jedoch zuckten noch in dem verzweifelten Versuch, sich zu befreien; und einige krümmten und streckten sich, verkrampften die Hände und verzerrten das Gesicht, als versuchten sie, ihrer eigenen Gestalt zu entkommen. Sie schienen jedoch weder sehen noch schreien zu können, und so wälzte sich der stumme, blinde Haufen Leiber wie Schlangen in einer Grube, und wenn sie sich fanden, packten sie einander, wie die Ranken sie packten, und taten sich ebensolche Gewalt an.
    Hier! , rief das Irrlicht.
    Am anderen Ende der Lichtung lag ein weiterer Körper im undurchdringlichen Dickicht gefangen. Zuerst konnte Sarik nicht entscheiden, um was es sich handelte, denn das Wesen schien sich selbst nicht entscheiden zu können: Mal wuchsen ihm Federn, mal Fell, mal hatte es Hände, mal wurden die Hände zu Klauen. Sein Mund jedoch, gleich welcher Form, stieß ein erbärmliches Wimmern aus, und es war klar, dass das Wesen sehr große Schmerzen litt.
    Da begriff Sarik: Es war ein Wechselbalg. Zwar hatte er noch nie seinesgleichen gesehen, doch es gab keine andere Möglichkeit. Er dachte daran, was Korianthe gesagt hatte – dass in jedem dieser Wesen ein Splitter des Zweimalgeborenen fortlebte und auf seine letzte Wiederkehr hoffte –, und erschauderte. Dieser Wechselbalg war das Herzstück des unheimlichen Pflanzengeflechts, das ihn tastend erforschte und durchdrang, vielleicht auch am Leben erhielt, und mit den anderen Körpern verband – wie Nerven oder Nabelschnüre.
    »Wieso tut sie das?«, flüsterte Sarik. Doch die Gedanken des Irrlichts waren so in

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