Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
entgegenstellt. Korianthe trifft die schwerste Entscheidung ihres Lebens: Mit der Hilfe ihrer Priesterschaft und eines alten Artefakts in den Tiefen ihrer Festung, des sagenhaften Calabar Yauri, schließt sie die Pforten in die höheren Sphären und riegelt die gesamte Welt vor dem Zugriff der Wesenheiten ab.
Es ist, als lasse man das Wasser aus dem Ozean ab.
Die Wesenheiten werden hinweggespült.
Den Mächtigen bleibt im wahrsten Sinn die Luft zum Atmen weg.
Magie ist auf einmal ein endliches Gut geworden – keine neue Kraft strömt mehr in die Welt, um die erschöpften Ressourcen zu ersetzen.
Dann schart Korianthe die letzten verbliebenen Mächtigen um sich und ruft zur Jagd auf Neseja. Allein Sarik und Zeona verweigern sich dieser Jagd.
Sie können sie aber auch nicht verhindern.
Mit vereinter Kraft wird Neseja zur Strecke gebracht. Die letzte Schlacht findet vor den Toren Geadors statt und schlägt einen tiefen Krater in die teverische Steppe. Ein klaffender Spalt fährt in die Grundmauern der Festung, doch Geador trotzt der Vernichtung. Dann, in einem letzten Aufgebot der Kräfte, findet der junge Gott den Tod.
Zumindest ist es das, was man lange Zeit glauben wird.
Es folgt der lange Winter der Welt.
Geador wird unter Korianthes Führung zum Hof des letzten Ordens ausgebaut. Doch die Mächtigen sind nur noch ein Abglanz ihrer selbst. Die wenigen Überlebenden geizen mit ihrer Macht, denn jeder noch so kleine Zauberist nun wertvoll und flüchtig wie ein Sonnenstrahl in dunkler Höhle, ein Samen im Wind, der, einmal verloren, nie mehr ersetzt wird. Die Hallen des Schicksals sind unerreichbar fern. Die Mächtigen, ihres liebsten Zeitvertreibs beraubt, müssen sich fragen, welchen Sinn all ihr Trachten noch hat.
Zwar bewahren sie sich ihre Unsterblichkeit, doch nur in ihren Refugien: verzauberte Wälder, Hütten, die um die Welt wandern … So werden sie immer mehr zu Sklaven ihrer Existenz, wie Gazellen, die den langsam versiegenden Quellen nachziehen. Eines Tages werden sie sich ganz in ihre geheimen Reiche zurückziehen, und die Menschen werden vergessen, dass es sie gibt.
Fast noch schlimmer aber ist die Vorstellung, dass sie ohne die Kräfte der höheren Sphären die letzte Generation von Mächtigen sein werden: Weder können sie selbst Kinder bekommen, noch werden der Welt neue Magier geboren – es sei denn, man stiehlt die Macht vom Leben selbst.
Niemand gibt zu, woher man das weiß. Es ist eine alte Blutmagie – manche sagen, aus Santal.
Dies ist die größte Schmach von allen.
Von nun an bedeutet die Geburt jedes Kindes mit der Gabe den Tod der Mutter im Kindbett.
»Anfangs werden sie sich dagegen sträuben«, sagt Zeona, und Sarik spürt die alte Bitterkeit, die sie beim Gedanken an ihre eigene Geburt umweht, und sie in diesen Momenten ihrem Bruder ähnlicher macht als irgend sonst.
»Sie werden vorgeben, das Leben zu ehren, und daran erinnern, dass sie selbst einmal Sterbliche waren. Bald schon aber wird sich das ändern – ihre Diener werden sie langweilen, und sie werden ihre eigenen, immergleichen Gesichter nicht mehr ertragen können. Nichts mehr übrig, das es zu erforschen gilt. Ein Kind mit der Gabe, einer unerwarteten vielleicht, ist die einzige Aussicht für sie, noch etwas Neues zu sehen in ihrem endlosen, erschöpften Leben.«
»Es ist eine schreckliche Welt«, erwidert Sarik. »Und allein meine Schuld.« Zeona schaut ihn fragend an. Sie haben nie darüber geredet, was damals im Palast der Spiegel wirklich geschah, und Sarik weiß nicht, wie viel davon sie ahnt oder gesehen hat.
»Nicht du hast Zearis getötet«, sagt sie. »Er hat sein Schicksal selbst über sich gebracht.«
»Durch meine Machtgier aber ist es erst so weit gekommen. Und ich frage mich …«
»Ja?«
»Ich frage mich, weshalb er nicht zu mir kam, als er wiederkehrte. Weshalb er sich nicht rächte. Oder mich nicht verriet.«
»Weil«, flüstert Zeona mit Tränen in den Augen, »er dein Freund war, und dich liebte.«
Und sie greift nach seiner Hand und will ihn festhalten.
»Vielleicht habe ich mich in ihm getäuscht«, sagt sie – »doch nicht in dir!«
»Ich bin es, der sich getäuscht hat«, erwidert er. »Es war schon zu spät, noch umzukehren – und ich kann nicht mehr länger davonlaufen.«
Sarik geht zu Korianthe und gesteht seine Schuld: dass er damals im Auftrag der getöteten Wesenheit handelte, deren Motive nun auf ewig verhüllt bleiben werden; dass er Zearis und den Orden hinterging
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