Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
und billigte, dass Borchiak an seiner statt bestraft wurde.
Korianthe lauscht seiner Beichte mit steinerner Miene. »Wir Mächtige töten einander nicht«, sagt sie dann. »Und es sind schwere Zeiten – zu schwer, als dass wir unsereiner leichtfertig opfern dürften. Du kannst aber gewiss sein: Wenn ich glaubte, dass dein Tod die Wesenheiten versöhnen könnte – ich würde keinen Augenblick zögern.«
»Es wäre nur recht«, antwortet Sarik. »Und ich würde es nicht bedauern, diese Welt nicht länger ertragen zu müssen, denn sie ist nicht mehr lebenswert.«
»Vielleicht mögen die Wesenheiten eines Tages über dich richten«, sagt Korianthe. »Ich bete darum – denn du hast dich an ihnen und deinem Freund versündigt. Nun aber sind wir von ihnen getrennt, sodass du dich alleine deinem Gewissen verantworten musst. Allerdings hast du auch mich hintergangen, deinen Eid gebrochen und den Orden verraten – und das kann und will ich nicht vergessen.«
»Ich unterwerfe mich deinem Urteil, Herrin«, sagt Sarik und senkt den Kopf.
»Ich kann Borchiaks Strafe nicht ungeschehen machen«, sagt Korianthe – »aber ich kann sie dich teilen lassen.«
Und sie legt einen langen und tiefen Schlaf auf ihn. Dann bringt man ihn in die Wildnis und überlässt ihn seinem Schicksal, mit nichts als seiner eigenen Magie zum Schutz.
Langsam dämmert er hinweg, ein verblassendes Licht, und die Wälder verbergen ihn, bis er in seinem Traum verschwindet und die Welt ihn vergisst. Der Blaue Wald wächst und beschützt ihn wie eine Muschel die Perle.
Zeona aber, die nun alles verloren hat und Korianthes Zorn fürchtet, flieht in die Welt hinaus. Bald ist ihr nur noch das kleine Reich ihrer wandernden Hütte geblieben.
Zeonas Gefängnis ist das kleinste von allen.
»Ich danke dir«, flüsterte Sarik, als sie die Augen aufschlugen und das Band zwischen ihnen erlosch. »Ich danke dir von ganzem Herzen.«
Sie standen sich noch eine Weile gegenüber: Er die Hand an ihrem Arm, sie die ihre an seiner Schläfe. Das Irrlicht schwebte still über ihnen.
»Danke mir nicht«, flüsterte sie. »Du hast ein vergiftetes Geschenk erhalten, denn nun weißt du wieder, dass du diese Welt einst verlassen wolltest, und musst abermals mit der Verzweiflung ringen. Wenn du nicht achtgibst, wird sich die Geschichte wiederholen. Ich wünschte, ich könnte mehr für dich tun.«
»Gift oder Geschenk, wer kann das sagen«, erwiderte er. »Was ist besser? Seiner Fehlbarkeit ins Gesicht zu blicken oder sie nur zu erahnen, wie ein Mal auf der Stirn, das man spürt, aber nie sieht?« Er senkte den Blick. »Es ist richtig, ich hatte meinen Lebenswillen verloren, und alles schien mir unabänderlich. Doch ich habe gelernt, dass die Welt sich ändern kann; also kann vielleicht auch ich mich ändern. Ich muss weder denselben Weg gehenwie Zearis, noch den der anderen. Ich kann einfach nur sein, was ich bin.«
Ycille aber schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich habe gesehen, wohin du selbst niemals sahst«, sagte sie. »Ich kenne dich nun, Sarik Isikara Kisikiras. Und ich weiß, dass du niemals nur du selbst sein wolltest.«
Das Irrlicht glühte in trübem Orange, und Sarik spürte, wie erschöpft und niedergeschlagen es war.
»Verzeih, Herrin«, sagte Sarik. »Wir müssen nun gehen. Gewähre uns nur eine letzte Bitte.«
Fragend schaute sie erst ihn an, dann das Irrlicht.
»Lass den Wechselbalg, den ihr gefangen habt, frei – er kann dir nicht helfen, seinesgleichen zu verstehen, denn er versteht sich ja selbst nicht. Selbst wenn es euch gelingt, mehr wie ihn anzulocken, wird es euch keine Heilung bringen. Du kannst und darfst nicht werden wie sie, Herrin, sondern musst dein Schicksal ertragen. Nicht mehr lange, und es wird einen letzten Kampf geben – doch er wird nicht hier geschlagen werden. Ihr müsst noch geduldig sein.«
»Wenn die alte Welt vergeht, vergehen wir mit ihr«, hauchte Ycille. »Wir werden davontreiben, und man wird uns vergessen. Ist das die einzige Hoffnung, die uns noch bleibt?«
»Die Hoffnung ist immer ein einsames Gut«, sagte Sarik.
Ycille stieß ein Seufzen aus, und die Gewächse der Insel antworteten ihrem Ruf. Mit sanftem Rascheln ließen sie den Gefangenen frei. Kaum hatten sich die letzten Ranken zurückgezogen, da verwandelte er sich in einen Star und stieg in den Himmel auf. Die anderen Stare folgten ihm; und einen Moment kündete nichts mehr von der Düsternis, die Sarik bei seinen ersten Schritten auf der Insel angetroffen
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