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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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»Urteile nicht zu hart über sie. Ihr blieb keine Wahl. Nur sie konnte einem Kind die Gabe verleihen, das Vermächtnis ihres Bruders zu finden.«
    »Es hätte irgendein Kind sein können«, stellte sie fest. »Wie viele Mütter in den Provinzen wären nicht dankbar für eine Hebamme? Doch sie kam zu meiner Mutter – und diese Wahl hat sie getroffen, oder nicht? Meine Mutter könnte noch leben – und ich wäre nicht hier.«
    Sie schnaubte, als er nichts darauf erwiderte.
    »Was ist mit dir? Weshalb kamst du zu mir, als ich noch klein war?«
    »Ich habe nach wie vor keine Antwort für dich. Zwar kann ich mich wieder erinnern, was zu meinem langen … Schlaf geführt, und was sich seitdem ereignet hat. Aber dich habe ich das erste Mal auf der Spitze des Berges gesehen, mit Schneeklinge in der Hand.« Er zögerte. »Mag sein, dass ich … vielleicht habe ich meinen Wald das ein oder andere Mal verlassen, während ich schlief – ohne es zu bemerken.«
    »Ein schlafwandelnder Zauberer?«, höhnte sie. »Wie könnt ihr euch anmaßen, über das Schicksal von Menschen zu bestimmen, wo ihr euer eigenes nicht im Griff habt? Du trägst mehr Schuld an mir als Korianthe oder die Frau, die meine Mutter umgebracht hat. Weißt du, wie oft ich an dich dachte, als ich noch klein war? Du hast mir Hoffnung gegeben! Du warst mein Zauberer.«
    Da bebte die Erde, und Sarik sprang auf und starrte hinüber zur Festung. Die Soldaten im Heerlager liefen aufgeregt durcheinander. Mehrere Fanfarenstöße erklangen.
    »Was ist?«, fragte April.
    »Ich weiß es nicht«, murmelte Sarik. »Etwas geschieht gerade.« Das Irrlicht schwebte höher, bis es neben dem Gesicht des Zauberers zur Ruhe kam und es aussah, als ob beide in dieselbe Richtung blickten. Sariks Lippen zitterten wie die eines alten Mannes.
    Es wurde dunkler, als die Wolken am grauroten Himmel sich dichter zusammenzogen. Nein, dachte April – eher schon war es, als entstünden die Wolken, als verdichtete sich die Luft selbst zu einer trüben, zähflüssigen Glocke über der Welt. Unwillkürlich schnappte sie nach Luft.
    »Wir hätten den Orden nicht verlassen sollen«, sagte Sarik. Seine Haut wirkte bleich, nicht nur wegen des Irrlichts. »Korianthe ist im Begriff, einen furchtbaren Fehler zu begehen.«
    April verbiss sich eine schneidende Antwort. Das blanke Entsetzen auf den Zügen des Zauberers hielt sie davon ab.
    »Wovon redest du?«
    Da tat sich ein Spalt in der Dunkelheit über Geador auf, und dahinter schien ein Licht, elfenbeinern und jung wie eine frisch geöffnete Blüte.
    Es war nicht das Licht der Sonne; und der Spalt wies in eine Richtung, die es zuvor nicht gegeben hatte.
    »Sie öffnet die Pforten!«, flüsterte Sarik. »Wir alle zahlen den Preis. Korianthe …« Und den Rest konnte April nicht mehr verstehen, weil ein plötzlicher Wind die Worte mit sich riss. Der Wind fegte durch die Ebene und trieb den Staub der Welt vor sich her. Auch die Soldaten hatten den Blick nun zum Himmel erhoben und begannen langsam zurückzuweichen. Die Angst, die sie erfasste, war die eines Tiers vor dem Beben, oder vor einer Flut – Sinne, die sie weder benennen noch willentlich steuern konnten, teilten ihnen mit, dass Gefahr drohte.
    Dann brachen die ersten Lichtstrahlen aus dem Spalt hervor und senkten sich langsam herab, Honigtropfen an Spinnenfäden, gleißend wie flüssiges Gold, und die Kalksteinmauern der Festung begannen in einem unwirklichen Tauschimmer zu leuchten, der April an die durchsichtigen Mauern des verzauberten Schlosses erinnerte.
    Immer mehr der glühenden, goldenen Punkte fielen vom Himmel, schneller nun als zuvor, und zogen lange Kometenschweife hinter sich her, während das Licht im Inneren des Spalts weiter zunahm, anschwoll, als wollte es bersten.
    »Komm!«, sagte Sarik und riss April mit sich, die das Schauspiel gebannt verfolgte. »Komm mit mir!«
    Der Boden hatte wieder zu beben begonnen. Diesmal klang das Zittern und Ächzen wie ein großes Untier unter der Erde, das drauf und dran war, aus ihr hervorzubrechen.
    »Was geschieht?«, rief April, stolperte und klammerte sich am Umhang des Zauberers fest, der zu glimmen und knistern begonnen hatte wie Tannennadeln im Feuer und einen leichten Funkenregen versprühte. Die Luft roch nach Rauch und nach Sturm,und April konnte spüren, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten. Ein tauber Kupfergeschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus.
    »Die Wesenheiten steigen herab!«, schrie Sarik, damit sie ihn

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