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Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Titel: Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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betäubt vor Erschöpfung. Sie mußte auch müde sein. Und wer immer ihnen folgte, müßte auch erschöpft sein. Er nahm an, daß Li und er mindestens vier Stunden Vorsprung hatten, und ihre Verfolger würden sich nachts auch nicht hinaustrauen.
    Er wollte Li Lan gerade an dieser Analyse teilhaben lassen, als er sie singen hörte: »Yi, ar, yi, ar, yi, ar, yi…«
    »Was tust du da?«
    »Zählen. Eins, zwei, eins, zwei, eins, zwei…«
    »Warum?«
    »Lenkt ab vom Schmerz in den Beinen. Versuch es.«
    Er versuchte es. Zuerst kam er sich blöde vor, aber dann funktionierte es. Es war so kindisch, daß er lachen mußte. Dann lachten sie gemeinsam, zählten abwechselnd, und das Spiel brachte sie über weitere Steinbrücken, durch weitere Bambuswälder, eine unglaublich gemeine Serie von Biegungen hinauf, an drei Klöstern und Tempeln vorbei, und bis auf eine furchterregende Klippe.
    »Yi, ar, yi, ar, yi, ar, yi…«
    »Yi, ar, yi, ar, yi, ar, yi…«
    Sie gingen einige Steinstufen hinauf, als er stürzte.
    Das war wirklich dumm. Er hatte einfach die Biegung verpaßt und war ins Nichts getreten. In der einen Sekunde zählte er gedankenverloren, in der nächsten stürzte er durch die Luft.
    Eine Tanne beendete seinen Sturz und er brach sich mindestens eine Rippe. Sein Schrei hallte durch den Canyon, das Echo gab ihm die seltene Gelegenheit, mehrmals den Klang des eigenen Schmerzes zu hören. Der Schmerz raste wie ein Expresszug aus der Brust zu seinem Hirn. Das Hirn befahl, die Fresse zu halten, also biß er die Zähne aufeinander und wimmerte. Er wollte sich umdrehen und zu Boden rollen, aber er hatte Angst sich zu bewegen, weil seine Position – Füße gegen einen Baum an der Steilseite einer Klippe gestemmt – etwas prekär war. Als er aufschaute, sah er, daß er etwa vier Meter tief gestürzt war. Als er hinunter schaute, war er sehr zufrieden mit seiner gebrochenen Rippe. Wenn er diese Karte zurückgeben und eine neue ziehen wollte, blieben ihm noch ein paar hundert Meter zu fallen.
    Er rollte sich vorsichtig auf den Bauch, so daß er bergan sah, und begann zurückzukriechen. Li hielt ihm ihren Gehstock hin. Er packte ihn, und sie zog ihn hoch. Zurück auf dem relativ sicheren Weg rollte er sich vor Schmerz auf den Boden.
    »Ist etwas gebrochen?« fragte sie.
    »Ich glaube, eine Rippe oder zwei.«
    »Das ist schlecht.«
    Für seinen Geschmack war sie ein bißchen zu cool. Ein paar Tränen wären ganz okay gewesen.
    »Tut es sehr weh?«
    »Nein. Ich wische nur die Stufen mit meinem Hemd sauber.«
    »Ja. Es wäre besser, wenn du still lägest.«
    »Es wäre auch besser, wenn du die Klappe halten würdest.«
    »Besser auch, ruhig zu sein.«
    Ruhig. Richtig. Mein Bauch fühlt sich an wie eine Bombe. Wir sind den Berg halb hoch, es wird dunkel. Ich kann weder atmen noch gehen, und ein paar ausgesprochen ekelhafte Typen, die uns jagen, haben gerade einen wichtigen Punkt gemacht. Also laß mich doch eine Minute ein wenig Panik genießen.
    Ganz abgesehen vom Selbstmitleid.
    »Keine Sorge«, sagte sie. »Ich kann dich tragen.«
    »Lan, versteh’ das nicht falsch, aber du erinnerst nicht einmal der Form nach an einen Maulesel.«
    »Ich kann dich tragen.«
    »Ich bin mindestens zwanzig Kilo schwerer als du.«
    »Wir müssen das Hemd ausziehen und uns um die Rippen kümmern.«
    »Faß das Hemd an, und du fällst von der Klippe. Aaarrgh!!«
    Sie öffnete sein Hemd. Die Gegend um seine Rippen verfärbte sich violett. Sein Kopf drehte sich, und er wurde beinahe bewußtlos, nur eine alberne Anwandlung von männlichem Stolz ließ ihn bei sich bleiben.
    »Ich werde etwas pressen«, sagte sie.
    »Ich werde dich erschießen.«
    Sie glaubte ihm offensichtlich nicht, denn sie preßte einen Finger in die Muskeln oberhalb der Rippen. Der Schmerz hörte nicht auf, aber das Stechen wurde zu einem dumpfen Schmerz.
    »Wie hast du das gemacht?«
    »Lieg still.«
    Sie preßte noch mehr. Dann schob sie die gebrochene Rippe umher. Diesmal wurde Neal tatsächlich ohnmächtig.
    Er erwachte und hörte ihren Yi-ar-Gesang.
    Sie erklomm einen Hügel, trug ihn auf dem Rücken, die Knie gebeugt, um die Extra-Last zu halten. Der Himmel war hellgrau.
    Seine Rippen klopften im Rhythmus ihrer Schritte.
    »Laß mich runter.«
    »Nein.«
    »Du kannst mich nicht den Berg rauftragen!«
    »Was tue ich jetzt?«
    Du trägst mich den Berg rauf.
    »Es ist eine alte Tradition. Buddhistische Bräutigame trugen ihre Bräute den Berg hinauf.«
    »Das wollte ich dich

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