Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
üblichen Heiligen, ein großer Buddha, aber die zentrale Figur war eine Viereinhalb-Meter-Bronzestatue von einem Mann auf einem Elefantenrücken.
Okay, dachte Neal, jetzt werden wir sehen, ob auf Li Lans Worte endlich einmal Verlaß ist.
»Hast du die Kleider gestohlen?« hörte er sie fragen.
»Yup.«
Sie kam hinter einer der Statuen hervor. Sie trug eine Baumwollhose und eine alte Mao-Jacke und -Kappe. Ihre Augen schimmerten feucht, und sie warf ihm die Arme um den Hals.
»Du lebst«, flüsterte sie.
Er umarmte sie auch. Es fühlte sich großartig an.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte er. »Sie sind hinter uns her. Es gibt einen Verräter im Plan deines Vaters.«
Er spürte die Spannung in ihrem Körper.
»Du hast sie hierher geführt?« fragte sie.
»Sie wissen es sowieso. Hör mal. Einer der Leute deines Vaters, Peng, ist ein Maulwurf, ein Verräter. Er arbeitet für die andere Seite. Du hast mir nicht gesagt, daß dein Vater gegen die Regierung arbeitet.«
»Er arbeitet daran, die Regierung zu übernehmen.«
»Gehört er zur Szechuan-Mafia?«
»Ich habe gehört, daß es so genannt wird, ja.«
»Pendleton ist auf dem Berg?«
Sie zögerte. »Ja.«
»Gibt es irgend einen anderen Weg hinunter? Für Notfälle?«
»Sehr gefährlich. Über den Gipfel und die Westseite hinunter. Dann zu Fuß nach Tibet. Sehr lang und sehr gefährlich. Aber der Stamm Yi haßt die Regierung. Sie würden uns führen, uns verstecken.«
»Okay«, sagte er, »wir machen es so. Du bringst mich zu Pendleton. Wenn er bleiben will, fein. Er bleibt und versucht sein Glück. Wenn er gehen will, erklärt ihr uns den Weg und gebt uns Proviant, und wir marschieren nach Tibet. Abgemacht?«
»Abgemacht.«
Na ja, zumindest eine halbe Abmachung. Peng saß nicht mit am Tisch.
»Sag mir die Wahrheit«, forderte er. »Wenn Pendleton bleiben will, begeht er Selbstmord? Habt ihr eine Chance, daß ihr es schafft, wenn Peng weiß, was läuft?«
Sie nickte. »Vater ist sehr mächtig. Peng wird Angst haben, ohne Beweis etwas gegen ihn zu unternehmen. Er muß Robert und mich haben und uns mit Vater in Verbindung bringen.«
»Kann er das tun?«
Sie nickte wieder. »Vater ist auf dem Berg.«
»Mein Gott! Warum?«
Sie lächelte gedankenverloren. »Um Robert zu sehen, um mich zu sehen, um meine Schwester zu sehen. Es sollte ein Familientreffen werden.«
Vielleicht klappt es ja, dachte Neal. Wenn zwei nach Tibet gehen können, können das auch fünf. Aber nichts davon passiert, wenn wir nicht den Gipfel erreichen, bevor sie uns erwischen. »Laß uns gehen«, sagte er.
Der Weg ging hinter dem Kloster los, durch Felder hindurch, auf denen ein paar Bauern arbeiteten. Sie gingen über eine Brücke, und Neal warf seine Tasche ins reißende Wasser.
Der Weg war eben, einfach zu gehen, er führte an einem weiteren Bach entlang, an alten, riesigen Banyan-Bäumen vorbei. Bald erreichten sie ein Dorf mit ungefähr hundert netten, strohgedeckten Holzhäusern, umgeben von hohem Bambus. Neal setzte sich an den Wegesrand, während Li ein Haus betrat und eine Minute später mit zwei mantou und zwei Bambustassen Tee wiederkehrte. Sie saßen unter dem Bambus und aßen schnell. Dann gingen sie weiter, wieder über eine Brücke, dann einen steilen Abhang hinauf, durch einen dichten Tannenwald.
Er führte zu einem weiten Feld, auf der einen Seite ein Bach, auf der anderen ein Steilhang, über dem ein großes Kloster zu sehen war. Es war Vormittag, die Sonne schien, und Neal brach der Schweiß auf dem Rücken aus und lief sein Rückgrat runter. Li Lan ging schnell, und die zunehmende Steigung schien sie nicht zu stören. Neal hatte gedacht, daß die Steinstufen hinaufzugehen einfacher wäre als eine schlichte Steigung, aber seine Oberschenkel schmerzten bereits, und seine Füße taten weh.
Nach einer halben Stunde bergan erreichten sie einen hölzernen Torbogen und wenig später ein reichverziertes Kloster.
»Wir werden hier rasten«, sagte Li.
»Wenn du unbedingt willst«, keuchte Neal.
»Dies ist ein wichtiger Platz«, sagte Li, »wo Kaiser Kang-hsi zu Besuch war und dem Abt das Jade-Siegel gab.«
»Wann war das?« fragte Neal, der versuchte, das Gespräch in Gang zu halten – und seinen Atem.
»Qing-Dynastie. In deiner Zeit, das späte 16. Jahrhundert.«
Ungefähr Shakespeares Zeit, dachte Neal.
»Herrscher Kang-hsi gab diesem Platz den Namen ›Drachenhaus‹.«
»Haben hier Drachen gelebt?«
Li lachte. »Nein, aber Wölfe und Tiger, bis man
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