Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
daß es einen Maulwurf in ihrer Organisation gab und daß sie und Pendleton niemals sicher wären. Er war jetzt ein Mann ohne Land – nicht Amerika, nicht China. Wenn er die nächsten paar Tage überlebte, und die Chancen standen nicht allzu gut, hatte er kein Ziel mehr, kein Versteck.
Aber er spürte die Kraft der Verzweiflung. Es war großartig, die komplexen Intrigen, die subtilen Manöver, die verdrehten Emotionen und das verdammte Denken hinter sich zu lassen. Jetzt ging es nur noch darum, wer zuerst diesen Berg bestieg, und die frische Luft und der freie Raum waren wie Gesang für ihn.
Ihm wurde klar, daß er seit drei Monaten nicht allein gewesen war, keine Stunde lang. Jetzt sah er das wunderbare Panorama der Berge und Täler, und er fühlte sich… sauber. Er hatte sich seit langer, langer Zeit nicht mehr sauber gefühlt.
Der Weg wurde abrupt steiler, als das Gras-Plateau in einem engen Grat endete, dann wurde aus dem Trampelpfad ein aus Steinen geformter Weg. Der Grat endete in einem Bambushain, hinter dem eine Steinbrücke über einen schnell fließenden, kleinen Bach führte. Auf der anderen Seite der Brücke durchschritt Neal ein großes offenes Tor, das zu einem riesigen Tempel auf einer steilen Bergkuppe führte. Neal blieb einen Moment stehen und spürte die Stiche in den Beinen. Der Weg führte steil den Berg hinauf, soweit er sehen konnte. Es würde ein langer Tag werden.
Und er mußte einen Elefanten finden.
Nein, nicht einen Elefanten. Den Elefanten. Auf einem chinesischen Berg.
Wo wir gerade von Elefanten auf chinesischen Bergen reden, dachte er… Ich bin jetzt bei Tageslicht wahrscheinlich ein ziemlich verdächtiger Anblick.
Er ging die Stufen hinauf, bis er ein weiteres Tor erreichte, das er durchschritt. Er stand am Rande eines großen Platzes, auf dem ein kleines Batailon von Mönchen Tai Chi übten. Andere Mönche, die wie Novizen aussahen, plagten sich mit Holzeimern voller Wasser und Bündeln mit Feuerholz. Neal vermutete, daß sie das gute alte Nach-Tai-Chi-Frühstück vorbereiteten. Neal schlich am Rande des Platzes entlang, unter einem gekachelten Säulengang hindurch und dann durch die erste offene Tür. Der Andachtsraum war voller Statuen, die Räucherstäbchen in ihren Händen hielten. Neal ging eine Treppe hinauf und fand sich in einem Flur, von dem eine Reihe Türen abgingen. In der vertrauensvollen Atmosphäre des Klosters waren die Räume nicht abgeschlossen.
So viel zum Thema Vertrauen, dachte Neal, als er in den ersten Raum ging. Ein schweres Hemd und eine Arbeiterhose hingen an einem Holzhaken. Arbeiterklamotten, dachte Neal, als er das Hemd vor der Brust hielt. Es war viel zu groß, also versuchte er es im nächsten Zimmer. Auch zu groß.
Den Hauptgewinn fand er am Ende des Flurs, in dem es einen größeren Raum mit acht kangs und acht Arbeitsanzügen gab. Wahrscheinlich der Schlafraum der Novizen, dachte er. Er fand Hemd und Hose, die ihm paßten. Seine Tennisschuhe behielt er an, denn sie waren gut für den langen Aufstieg. Außerdem, wenn jemand nahe genug käme, um seine Schuhe zu sehen, würden ihm auch seine runden Augen auffallen.
Ein paar Minuten später fand er auch einen großen Strohhut, den er sich in die Stirn zog.
Blieb seine moderne Tasche. Er seufzte resigniert, dann nahm er Random und Li Lans Broschüre aus der Tasche und steckte sie in die große Hüfttasche des Arbeiterhemdes. Er nahm Zahnbürste, Zahncreme und Rasierer heraus und steckte sie in die andere Tasche, dann schob er sich Simms’ Pistole hinten in den Hosenbund. Er rollte die Tasche fest zusammen und klemmte sie unter den Arm, bis er sie irgendwo loswerden könnte.
Er blieb am oberen Ende der Treppe stehen und lauschte. Sie trainierten immer noch Tai Chi, und er konnte das Klappern der Kessel und Teller aus der Küche hören. Er eilte die Treppe hinunter und machte sich auf die Suche nach einer Hintertür, dann ging er an der Reihe der Statuen vorbei und durch einen weiteren Torbogen hinaus ins Freie.
Links fand sich in einer kleinen Pagode eine Bronzeglocke, die ungefähr zwei Meter siebzig hoch war und einen Durchmesser von zwei Meter dreißig hatte. Ein Mönch saß neben der Leiter, die zu der Glocke führte, aber er schien Neal nicht zu bemerken. Rechter Hand erhob sich ein Sechs-Meter-Türmchen über die Klostermauern. Es hatte vierzehn Ebenen, und jede war mit großen Buchstaben beschrieben. Neal ging ein paar Stufen hinauf in einen großen Tempel.
Dort waren die
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