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Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Titel: Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Victor Hugo schon nicht lesen, ganz zu schweigen davon, so zu leben.«
    »Still!«
    Sie stiegen zwei Stufen hoch und gingen wieder durch eine Tür. Sie gelangten in einen anderen Keller, eine kleine, schmutzige Kammer. Der Mönch stieg auf eine kleine Leiter und öffnete eine Falltür. Dann kletterte er wieder herunter und bedeutete ihnen, hinaufzusteigen.
    Erst Li Lan, dann Pendleton. Neal sehnte sich danach, wieder an die Oberfläche zu kommen. Er folgte Pendleton und bereute es augenblicklich.
    Er war in der Hölle.
    Es war eine Gasse, vielleicht einen Meter breit, vielleicht weniger. Ein Hauch Tageslicht enthüllte dreckverkrustete, urinstinkende Wände. Der Boden bestand aus Matsch, Scheiße, Scherben und zersplitterten Holzplanken.
    Neal hielt sich Mund und Nase zu, aber der Gestank war überwältigend. Seine Augen tränten, ihm war übel.
    Die Häuser standen so dicht, daß sie aussahen, als würden sie jeden Augenblick umkippen. Selbstgebaute Brücken überspannten die Gasse, ein paar Hängematten hingen im Freien, zahllose Kabel sahen aus wie Lianen.
    Hier und da waren Höhlen in die Wände gemeißelt worden, und darin lagen Menschen. Neal konnte sie durch Bambusgeflechte und Eisengitter starren sehen.
    Er hörte Pendleton murmeln: »Großer Gott.«
    Und die Laute, die Laute waren furchtbar. Zwischen tausend Stimmen hörte Neal Babys weinen, Kinder schreien, alte Leute jammern. Weiter weg bellten ein paar Hunde, und auf den Innenseiten der Wände scharrten Rattenfüße.
    Neal packte Li Lan an der Schulter.
    »Wo sind wir?«
    »In der Geschlossenen Stadt.«
    »Was ist das?«
    »Was du siehst.«
    Sie schob seine Hand weg und ging los. Er stieß Pendleton beiseite, packte sie am Kragen und drehte sie zu sich herum.
    »Was ist das?« fragte er wieder.
    »Die Geschlossene Stadt!« schrie sie ihn an. »Menschen – du würdest sie Hausbesetzer nennen – leben hier. Die Gangs regieren. Es sind Drogen, es ist Prostitution. Ratten und tollwütige Hunde. Es sind Kinder, die vergewaltigt und verkauft werden, es sind Leute, die in Löchern leben! Es ist Dreck. Es ist, wenn sich keiner kümmert!«
    »Ich wußte nicht, daß es so einen Ort gibt.«
    »Jetzt weißt du’s.«
    »Was tun wir hier?«
    »Wir verstecken uns.«
    »Wie lange?«
    »Gefällt’s dir nicht?«
    »Wie lange?«
    Sie beruhigte sich. Er hatte sie noch nie wütend erlebt, und es ängstigte ihn. Pendleton stand einfach nur da, wie ein verängstigtes, zu groß geratenes Kind.
    »Bis du deinen Simms angerufen hast.«
    »Kann er hierher kommen?«
    »Bei den Leuten, die er kennt.«
    »Gangs, Triaden?«
    »Natürlich.«
    »Gibt es hier Telefone?«
    »Es gibt alles hier.«
    Sie drehte sich um und ging voraus. Sie bog nach links in eine etwas breitere Gasse, in der völlig zugekiffte Leute an den Häuserwänden lehnten. Dann nach links in einen Betontunnel, wo sie über Unrat und schlafende Menschen hinwegstiegen und sich unter Glühbirnen und Elektroleitungen bückten. Sie erreichten eine weitere Gasse, schmaler und schmutziger als die vorige.
    »Mein Gott!« stöhnte Pendleton.
    Ein paar Ratten fraßen an einer Leiche. Neal krümmte sich und kotzte. Er versuchte, sich nicht an der Wand abzustützen.
    »Komm schon«, zischte Li Lan. »Wir sind gleich da. Dort ist es besser.«
    Wir sind in einem Labyrinth, dachte Neal plötzlich, und wir können nicht einmal den Himmel sehen. Plötzlich wurde ihm klar, daß er keine Chance hatte, hier heraus zu finden. Keine Chance.
    Sie erreichten einen runden Platz, von dem fünf Gassen abzweigten.
    Vier Teenager – ärmellose weiße T-Shirts, Khaki-Hosen, Plastiksandalen – saßen im Kreis auf dem Boden, rauchten und würfelten. Die Jungen starrten das Trio überrascht an. Ein unerwartetes Abenteuer bot sich an. Der größte stand auf und kam auf Li Lan zu. Er musterte sie geil, grinste breit und sagte etwas zu seinen Kumpels. Sie kicherten und erhoben sich ebenfalls. Der Große zog ein Messer aus der Tasche und hielt es vor Lis Gesicht.
    Zieh die Pistole, dachte Neal. Jetzt ist nicht der richtige Augenblick, um die Buddhistin hervorzukehren.
    Sie zog nicht die Pistole, sondern sagte zwei Worte. Das Grinsen des Jungen schrumpelte zusammen, seine Hand sackte kraftlos nach unten. Er gab den anderen Jungen einen Befehl, und sie rannten eine der Gassen hinunter.
    Zehn Minuten später kamen sie zurück. Sie brachten einen Kerl mit, dem man ansah, daß er der »Honcho«, der Obermotz, war. Er war älter, vielleicht Anfang Zwanzig,

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