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Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Titel: Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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und trug einen graugestreiften Anzug, ein blaues Hemd, einen pflaumenfarbenen Schlips und einen pechschwarzen Fedora. Eine Zigarette klemmte in seinem Mundwinkel. Er schien keine Angst vor Li Lan zu haben, war aber höflich und respektvoll.
    Er hörte Li eine Minute lang zu, dann nickte er und gab leise Anweisungen. Die drei Jungs rannten davon. Der Honcho schlug dem Anführer der Bande mit der Hand ins Gesicht. Der Junge kippte in den Dreck, rappelte sich auf, verneigte sich vor Li Lan und rannte davon. Der Honcho schüttelte den Kopf.
    »Ein dummer Junge«, sagte er dann. »Nutzlos. Ich werde ihn töten, wenn Sie möchten.«
    »Vielen Dank, aber das ist nicht nötig«, entgegnete Li.
    Nicht dumm, dachte Neal. Das Angebot auf englisch zu machen, ließ Li in den Augen ihrer Gäste viel mächtiger werden.
    Er wandte sich an Neal. »Keine Sorge um Weißer Tiger. Sie sind mächtig in Kowloon. Hier ist nicht Kowloon.«
    Hier ist nicht Kowloon, dachte Neal. Hier ist nicht mal Erde.
    »Mr. Carey muß telefonieren«, sagte Li. Neal hatte das Gefühl, sie sagte das bloß, um das Schweigen zu brechen.
    »Natürlich… jederzeit«, sagte der Honcho gelassen.
    Die drei Jungs kehrten keuchend zurück und meldeten offensichtlich Vollzug.
    »Wenn Sie mir bitte folgen wollen?« bat der Honcho Li. Er führte sie durch eine Gasse auf einen Platz, der widerhallte vom Rattern der Nähmaschinen in den Hütten, durch eine dieser Hütten hindurch und in eine andere Gasse, und dann in eine Sackgasse.
    Zumindest sah es aus wie eine Sackgasse. Honcho führte sie eine Treppe hinunter, als wollte er in einen Keller. Doch die Treppe endete vor einer massiven Betonwand. Ganz rechts war ein schmaler Spalt im Beton, Honcho drehte sich seitlich und quetschte sich hindurch.
    Neal paßte gerade eben durch den Spalt, und er ging noch ungefähr zehn Meter seitlich und versuchte, die Wände vor und hinter sich nicht zu berühren. An diesen Wänden lebten mit Sicherheit mindestens zehntausend exotische Bakterien, und eine Schürfwunde wäre bestimmt gut für fünfundzwanzig Bluttests. Er fühlte, wie sein Hemd feucht wurde, und war dankbar, nicht nach oben oder unten schauen zu können. Er wollte es nicht wissen.
    Die Gasse, wenn man sie so nennen konnte, endete vor einer weiteren Mauer. Diesmal war der Spalt links, und Neal überstand weitere zwanzig Meter Klaustrophobie, bevor sie ihr Ziel erreicht zu haben schienen. Eines mußte er Li Lan lassen: Ein besseres Versteck gab es nicht.
    Ein paar mürbe Holzstufen führten von der Gasse aus nach oben. Sie gingen an zwei Türen vorbei und klopften an der dritten.
    Hinter Tür drei verbarg sich ein nackter Acht-malacht-Raum. In der rechten Ecke führte eine wackelige Holzleiter in eine kleine Nische, die aus der Wand geschlagen worden war. Das Zimmer war gerade groß genug für einen Stuhl und, überraschenderweise, ein Telefon. Vielleicht wurden hier Wetten angenommen oder Drogendeals organisiert; vielleicht riefen sie von hier aus auch Großhändler an und fragten Dosenbierpreise ab. Jedenfalls war es da. Ein alter Wählscheibenapparat. Neal glaubte nicht, jemals etwas so Wunderbares gesehen zu haben.
    Ein alter Mann und ein kleiner Junge hockten auf dem Boden. Sie hielten Reisschalen vor ihre Münder, die Stäbchen blitzten, und gierig stopften sie den schmutziggrauen Reis in sich hinein. Der alte Mann trug ein T-Shirt, das während der Sung-Dynastie weiß gewesen sein mochte, und Shorts, die ihm bis zu den Waden reichten. Sein weißes Haar war kurzgeschoren, und er hatte einen dünnen weißen Bart. Die Augen waren stumpf und gelb und nicht erfreut über die Störung beim Essen.
    Der Junge war begeistert. Er starrte Neal an und ließ zwei oder drei Körner Reis auf sein schwarzes T-Shirt fallen, das er zu einer abgeschnittenen Jeans und Plastiksandalen trug. Sein Grinsen enthüllte verfaulte Zähne, seine Augen waren milchig. Infiziert. Neal schätzte den Jungen auf zwölf, den alten Mann auf einhundertzwölf.
    Der Junge holte unter seinem T-Shirt einen Comic hervor und hielt ihn Neal hin.
    »Hulk!« schrie er, dann schnitt er eine Fratze, grunzte, zeigte seine Zähne. »Hulk! Hulk!«
    »Der ist toll«, sagte Neal. Freundlich bleiben.
    Er griff nach dem Comic, um ihn zu bewundern, aber der Junge zog ihn weg. Dann richtete er sich auf, reckte seine Brust vor, stemmte die Hände in die Hüften und produzierte ein zuversichtliches Machogrinsen.
    »Superman?« riet Neal.
    Der Junge schüttelte den Kopf.

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