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Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Titel: Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Stock. Wir wurden auf eine Bank auf einem Flur vor der Tür gesetzt, aber wir konnten von drinnen Geschrei hören. Sie schrien Mutter an, zu gestehen, daß sie eine amerikanische Spionin sei.
    »Dein Vater war ein Mitglied der Kuomintang, ein Verräter! Du bist seine Spionin! Hast du dich nicht mit den Amerikanern verbrüdert im Befreiungskrieg?«
    »Ja, das ist wahr! Ich war Spionin für die Partei!«
    »Lügnerin! Du hast für die Kuomintang gearbeitet. Du arbeitest noch für die Kuomintang!«
    »Das ist eine Lüge.«
    »Du haßt China! Du besitzt amerikanische Bücher und amerikanische Musik!«
    »Das ist lächerlich. Bitte ersparen Sie sich weitere Peinlichkeiten und hören Sie auf.«
    So ging das eine Weile weiter. Ich zuckte bei jedem Schrei zusammen, und manchmal konnte ich hören, wie sie sie traten und schlugen. Sie wollten ein Geständnis. Ich weiß jetzt, daß Vaters mächtige Feinde dahinterstanden, aber Mutter mußte das gewußt haben, denn sie weigerte sich, etwas zu sagen. Sie wußte, daß sie keine richtigen Beweise hatten, denn sie war unschuldig.
    Schließlich kam der Rotgardist, der unser Haus zerstört hatte, heraus. Sein Gesicht leuchtete rot, er war außer Atem, und er befahl uns, ins Zimmer zu gehen.
    Mutter stand in der »Flugzeug«-Position, die Knie gebeugt, die Arme hinter dem Rücken ausgestreckt. Sie litt, aber sie blieb ruhig. Hong und ich wurden an eine Mauer gedrängt, vor einem verhängten Fenster. Es war dunkel und heiß im Zimmer.
    »Denunziert sie!« forderte der ältere Mann.
    Ich schüttelte den Kopf. Hong blieb still, und ich war sehr stolz auf sie.
    »Sagt uns, was ihr wißt«, wiederholte er. »Ihr helft ihr. Wenn sie gesteht, kann sie rehabilitiert werden, wenn nicht, kann sie als Spionin hingerichtet werden. Helft ihr, zu gestehen!«
    Ich sah Mutter in die Augen. Sie schüttelte so sanft den Kopf, daß nur ich es sehen konnte. Ich liebte sie so sehr und begann zu weinen, aber ich weigerte mich wieder, sie zu denunzieren. Also versuchten sie es mit einer anderen Taktik.
    »Dann seid ihr genauso schuldig wie sie! Ihr seid gegen die Revolution! Ihr haßt den großen Vorsitzenden Mao! Wollt ihr ins Gefängnis?! Wollt ihr im Lager arbeiten?!«
    Mir war es egal. Kein Gefängnis hätte schlimmer sein können als dieses kleine Zimmer. Ganz China war für mich ein Gefängnis geworden. Ich schwieg. Hong schwieg. Wir waren wieder Schwestern.
    Der junge Rotgardist schrie: »Eure Mutter hat eure Gedanken vergiftet! Sie ist eine Kriminelle! Denunziert sie!«
    Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm, zu antworten, aber ich sagte: »Sie sind der Kriminelle, und ich denunziere Sie.« Ich sah Mutter lächeln. Sie gaben mich auf und sprachen nur noch mit Hong.
    »Denunzier’ sie!«
    Hong schüttelte den Kopf.
    Der alte Mann sprach leise mit ihr. »Xao Hong, du warst bei den Roten Garden. Bist wegen deiner Eltern verbannt worden. Möchtest du rehabilitiert werden? Möchtest du wieder zu den Roten Garden?«
    Hong sah zu Boden. Sie schüttelte den Kopf, sehr langsam.
    »Xao Hong, wir wissen, daß du den großen Vorsitzenden Mao liebst. Wir wissen, daß du die Revolution liebst. Deine Mutter will den großen Vorsitzenden zerstören. Sie will die Revolution zerstören. Sie ist nur körperlich deine Mutter. Im Geiste bist du die Tochter der Revolution.«
    Er hob ihr Kinn und sah ihr in die Augen. »Du bist Maos gute Tochter.«
    »Ja, das bin ich.«
    »Und du mußt es beweisen. Du mußt dich selbst beweisen, bevor du wieder zu den Roten Garden kannst. Hilf uns, diese Frau des Verrats zu überführen. Denunzier’ sie.«
    Ich konnte nicht atmen. Ich konnte nur Mutter ansehen, die Hong ansah, sie ansah mit solcher Sanftheit und mit solcher Liebe, selbst als Hong plötzlich rief: »Ja, es ist wahr! Sie ist eine Spionin! Sie haßt chinesische Gedanken! Sie hat uns beigebracht, amerikanische Bücher zu lesen und amerikanische Musik zu hören!«
    Der ältere Mann lächelte. »Ja. Aber da gibt es sicher mehr!«
    Sie hatten immer noch nichts, was sie von Mutter nicht schon wußten. Diese Dinge waren Fehler, keine Verbrechen.
    Hong schrie jetzt. Sie war beinahe hysterisch. »Sie hat meine Schwester ermuntert, dekadente Bilder zu malen!«
    »Genossin Xao, wir müssen mehr wissen.«
    Meine Schwester rollte mit den Augen. Sie schüttelte mit dem Kopf, schien beinahe zu ersticken. Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, wir würden beide sterben. Dann zeigte sie mit dem Finger auf meine Mutter und schrie:

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