Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
»Sie hat gesagt, der große Vorsitzende sei verrückt! Ich habe sie gehört!«
Zuerst wußte ich nicht, wovon sie redete, aber dann erinnerte ich mich: Wir waren kleine Mädchen in Dwaizhou gewesen und hatten unsere Eltern belauscht, und Mutter hatte sich gefragt, ob der große Vorsitzende Mao verrückt geworden sei. Es war vor neun Jahren gewesen, und in ihrer Verzweiflung erinnerte Hong sich daran.
»Ich habe es gehört«, wiederholte sie. »Ich habe gehört, wie sie gesagt hat, daß der große Vorsitzende Mao verrückt ist!«
Meine Mutter ließ den Kopf sinken und weinte, nicht weil sie schuldig war, sondern weil ihre eigene Tochter sie für eine grüne Jacke und eine rote Armbinde verraten hatte.
Ich versuchte, zu Mutter zu kommen, aber die Roten Garden packten mich und zerrten mich hinaus in den Flur. Sie gratulierten meiner Schwester, und sie sperrten meine Mutter in das kleine Zimmer und nahmen uns mit hinunter. Sie schrien der Menge ihren großen Sieg zu, als wir das Auditorium erreichten, und die Menge brüllte: »Xao Hong! Xao Hong! Xao Hong liebt die Revolution!« Ihre ehemaligen Kameraden der Roten Garden rannten hin zu ihr und gaben ihr eine Jacke. Dann gaben sie ihr eine Armbinde. Die Menge schrie und feierte den Sieg über Mutter, und die Demonstration schwappte aus dem Gebäude hinaus auf die Straße. Hong wurde in die erste Reihe getragen; die Parade marschierte um das Gebäude herum, auch unter dem Fenster des Zimmers vorbei, in dem Mutter eingesperrt war. Hong selbst hielt ein Plakat hoch, das sie denunzierte.
Sie waren noch nicht damit fertig, Mutter zu erniedrigen, und ich glaube bis heute, daß sie sie absichtlich nicht bewacht haben. Sie wußten, sie war eine stolze Frau, deren Stolz gebrochen worden war, und sie wollten ein Exempel statuieren.
Zuerst trat Mutter das Fenster ein, so daß wir alle aufsahen, als der Vorhang hinausflatterte, und sie sprang.
Ich schloß die Augen, aber dann riß ich sie wieder auf, weil ich mich erinnern wollte, immer.
Sie schloß die Augen fest, aber die Tränen kamen trotzdem. Neal setzte sich neben sie aufs Bett und legte den Arm um ihre Schultern. Sie schmiegte ihr Gesicht an seinen Hals und weinte. Die Tränen liefen über ihre Wangen auf seinen Hals, und er hielt sie fester. Sie weinte lange, zehn Jahre Schmerz flossen aus ihr heraus. Neal wischte ihr eine Träne von der Wange. Dann küßte er eine von der Wange, dann küßte er eine Träne von ihrem Hals, dann brachte sie ihre Lippen an seine.
Ihre Lippen waren weich und warm, ihre Zunge war hart und fordernd, ihre Jacke schien sich selbst aufzuknöpfen, die Seide glitt ihre Beine herunter, und dann war er in ihr. Sie ließ sich zurück aufs Bett sinken, ihr langes schwarzes Haar bewegte sich, wenn sie sich unter ihm wiegte. Ihre Beine umklammerten ihn fest, ihre Hände strichen über seinen Rücken, streichelten sein Haar, sein Gesicht. Sie küßte seine Stirn, seine Augen, seinen Mund, bevor sie die Beine noch fester zusammenpreßte und sich über ihn rollte.
Ihre Haare strichen über seine Brust, während sie sich auf und ab bewegte, und er faßte zwischen ihre Beine und streichelte sie, während sie sich hob und hob und ihn gerade noch in sich behielt. Sie ließ sich auf ihn heruntersacken, und sie bewegten sich gemeinsam, und er konnte ihr wunderbares Gesicht sehen, ihre Brüste berühren und ihren Bauch; sie glänzte vor Schweiß. Sie hob sich und fiel und drehte sich auf ihm, und dann stürzte sie auf seine Brust, und er hielt sie fest und still, warf sich einmal in ihre Mitte, dann ein zweites Mal, und noch mal, bis die Geräusche des Glücks die Münder erreicht hatte.
Sie lagen zusammen unter dem Laken, und sie kuschelte ihren Kopf in seine Armbeuge und erzählte weiter ihre Geschichte.
Nach Mutters Tod strolchte ich wochenlang allein durch die Stadt. Ich wollte nicht heim zu all den Erinnerungen, und wo die Roten Garden mich finden konnten. Ich suchte Essen aus Müllhaufen und schlief in den Parks. Das war nicht ungewöhnlich; es gab viele »politische Waisen«, und niemand schien sich um sie zu kümmern. In der Stadt herrschte Chaos. Die Roten Garden hatten sich in verschiedene Gruppen aufgesplittert. Sie stahlen Waffen von der Armee und bekämpften die Polizei und einander. Von Zeit zu Zeit sah ich Hong, immer als Anführerin: einer Parade, einer Demonstration, eines Straßenkampfes. Sie war immer in der Mitte; ich nur am Rand.
Im Januar versuchten
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